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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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der Clubbesucher Vorstadtbewohner oder Touristen waren.
Das Paar vor mir schilderte gerade Freunden das tolle Haus, das es sich in
Walnut Creek gekauft hatte. Hinter mir staunten zwei Frauen, wie cool die Szene
hier im Vergleich zu der von Saint Paul war. Viele jüngere Leute äußerten sich
besorgt, ob sie durch die Ausweiskontrolle an der Tür kommen würden.
    Ich hatte nicht mal dran
gedacht, daß mich jemand nach einem Ausweis fragen könnte, falls ich dem
Eingang je nahe genug kommen sollte. Mich würde in diesem Leben niemand mehr
kontrollieren. Dieser Gedanke war zwar befriedigend, machte mich aber auch ein
bißchen traurig.
    Beruhigungshalber sah ich auf
mein Ausgeh-Outfit hinunter — ein figurbetontes Silberpaillettenkleidchen und
einen schwarzen Samtmantel, die beide lange genug im Schrank gehangen hatten,
um jetzt wieder modern zu sein. Die Traurigkeit verflog. Die Sachen paßten noch
genauso wie beim letzten Mal. Nicht schlecht für eine alte Tante von vierzig,
wie Mick mich gern bezeichnete.
    Hinter mir wuchs die Schlange.
Wenn sich Auerbach an den eher lockeren Zeitplan hielt, den Mick aufgrund der
Telefonate mit den Clubs erstellt hatte, dann mußte er bald wieder herauskommen
und in den Mission-Distrikt düsen.
    Der Mann vor mir drehte sich
um, musterte mich von Kopf bis Fuß und sagte: »Echt Glück, daß der Regen
aufgehört hat.« Er sah ganz gut aus, wenn man auf den Drogenbaron-Look stand.
»Hm«, antwortete ich.
    »Ist nervig, wenn man im Regen
anstehen muß.«
    »Total nervig.«
    »Aber morgen soll’s aufklaren,
kam in den Nachrichten. Die Voraussagen —«
    »Die können nichts
voraussagen.«
    »Ach? Warum nicht?«
    »Weil die Wettergötter ihr
Radar blockieren. Sie senden diese Strahlen aus, so ähnlich wie die Signale,
die von den Handynetz-Stützpunkten reflektiert werden, nur viel stärker. Sie
hassen uns nämlich.«
    »Ach, na klar.« Er lächelte
unsicher und wandte sich ab. Eindeutige Symptome von Verrücktheit sind manchmal
ein gutes Mittel, Männer loszuwerden, ohne ihre Gefühle zu verletzen.
     
    Kurz vor Mitternacht stand ich
im dunklen Hauseingang eines Apartmentgebäudes an der Guerrero Street und gab
mich einem weitgehend unbegründeten Wehmutsanfall hin, während ich die Tür des
dritten Auerbach-Clubs, Bohemia, beobachtete. Auerbach war von SoMa
direkt hierher in den Mission-Distrikt gefahren. Der Club war klein, weshalb
ich beschloß, lieber nicht reinzugehen und Aufmerksamkeit zu erregen. Auerbach
hatte noch eine Station vor sich — den Club Turk — , und wenn er sich
mit D’Silva treffen würde, dann dort.
    Im Hauseingang lagen alte
Zeitungen und Werbeflyer herum, und die Glühbirne über der Tür war
durchgebrannt; etliche Briefkästen standen offen, weil die Schlösser kaputt
waren. Ich hatte nach meinem Studienabschluß in Berkeley hier in diesem Haus
ein Studio bewohnt, bis ich dann mein Haus gekauft hatte. Einer meiner ersten
großen Fälle hatte sich hier abgespielt. Ich war diese rissigen Bürgersteige
und dunklen Straßen viele tausendmal entlanggegangen, aber jetzt war ich hier
eine Fremde.
    Damals war der Mission-Distrikt
nicht gerade die tollste Wohngegend der City gewesen, aber manche Teile hatten
durchaus ihre Reize gehabt; ethnisch gemischt und gutproletarisch, hatten sie
sich durch ein angenehmes Gemeinschaftsgefühl ausgezeichnet. Hier an dieser
Kreuzung waren damals ein Lebensmittelladen, ein Waschsalon, eine kleine
Bäckerei und Ellen T’s Bar & Grill gewesen. Ich war dort
überall Stammkundin und kannte die Inhaber. Das Parken war immer ein Problem,
aber ich hatte keine Bedenken, den MG am Bordstein stehenzulassen, und auf den
Wegen zwischen Haus und Wagen wechselte ich manches Wort mit irgendwelchen
Nachbarn.
    Doch nachdem ich dann das Geld
für die Anzahlung auf mein Haus zusammengekratzt hatte und weggezogen war,
hatte ich gehört, daß selbst diese idyllische kleine Nische heruntergekommen
war. Drogendeals, die sich bisher vor allem auf das sogenannte Teufelsquadrat
an der Mission zwischen Sixteenth und Twenty-Forth Street beschränkt hatten,
gingen jetzt auch hier über die Bühne; Säufer torkelten die Bürgersteige
entlang und urinierten in der Öffentlichkeit; Hauswände wurden, in dem Maß, wie
das Gangwesen eskalierte, mit Graffiti überzogen; Geschäfte, die der Versorgung
der rechtschaffenen Leute gedient hatten, machten eins nach dem anderen zu, und
die rechtschaffenen Leute selbst zogen, wenn sie es sich irgend leisten
konnten,

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