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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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schleunigst weg.
    Doch inzwischen hatte sich der
Charakter dieser Kreuzung erneut geändert. Mein alter Lebensmittelladen war
immer noch da, hatte aber den Besitzer gewechselt und schien jetzt reif für die
Übernahme durch die angrenzende Bar. An der gegenüberliegenden Ecke befand sich
ein schickes Restaurant; der Waschsalon war einem Geschenke- und Kartenshop
gewichen. Im einstigen Ellen T’s hatten sich, seit dem Tag, da die
Träume des freundlichen Wirtsehepaares durch die Kugel eines Räubers zerschmettert
worden waren, nacheinander verschiedene Nachtclubs etabliert, zuletzt das Bohemia. Ich war so desorientiert, daß ich auf die Hausnummer schauen mußte, um mich zu
vergewissern, daß das hier wirklich mein altes Haus war. Und gegrüßt hatte mich
nur ein gutgekleideter Betrunkener, der mich für eine Nutte hielt.
    Die Neonleuchtschrift des Clubs
und der sanfte Lichtschimmer der Bar und des Restaurants verleiteten mich
nicht, mir Illusionen zu machen, was meine Sicherheit anging. Diese
Etablissements wurden hauptsächlich von Neobohemiens besucht, die in anderen
Vierteln oder, häufiger noch, außerhalb der City wohnten. Hoffentlich war
diesen Leuten bewußt, daß das hier immer noch eine rauhe Gegend war, wo man nur
jemanden falsch anzugucken brauchte, um eine hochexplosive Situation
heraufzubeschwören.
     
    Es begann wieder zu regnen —
zuerst leicht, dann in Strömen, die der böige Wind in den Hauseingang
peitschte. Ich wich möglichst weit zurück, zog mein dünnes Mäntelchen enger um
mich, klapperte aber trotzdem. Ein paar Leute, die sich auf dem Bürgersteig vor
der Lone Palm Bar unterhalten hatten, zerstreuten sich und flüchteten in ihre
Autos. Auerbach war jetzt schon ziemlich lange im Bohemia ; hoffentlich
machte er sich bald zum Club Turk auf. Aber ein Gutes hatte dieses
Wetter — es würde die finsteren Gestalten von den Straßen des Tenderloin
fernhalten. Die meisten jedenfalls.
     
    Aber der Mission-Distrikt war
ein Dorfschulhof im Vergleich zu der Gegend um Turk und Taylor. Selbst im
nunmehr steten Regen standen hier miniberockte Wesen — und nicht nur weibliche
— mit Schirmen an Straßenecken und riefen Wageninsassen lockende Worte zu.
Obdachlose lagerten im Schutz verrammelter und vergitterter Ladeneingänge,
inmitten eines Gewurstels aus Decken und Lumpen. Einen Block weiter passierte
ich einen Streifenwagen und einen Krankenwagen mit blinkenden Lichtern; die
Sanitäter hoben gerade eine zerknitterte Gestalt aus dem Rinnstein auf eine
Bahre. Und zwischen all den leerstehenden Häusern und übelriechenden Straßen und
all dem menschlichen Elend residierten Clubs, von schmucklosen Kellereingängen
bis hin zu glitzernden Etablissements, in die die abenteuerlustigeren
Nachtschwärmer der Stadt strömten.
    Es war immerhin schon so spät,
daß sich die Besucher des nahen Theaterviertels bereits zerstreut hatten, also
gab es reichlich Parkplätze. Ich wartete an der Ecke, bis Auerbach seinen
Porsche am Bordstein abgestellt und dem Türsteher die Schlüssel gegeben hatte,
wendete dann und parkte einen halben Block vom Aunt Charlie’s Lounge —
einem Mekka der Cross-Dresser-Szene, von dem selbst ich schon gehört hatte — ,
stieg aus und beäugte mißtrauisch einen massigen Schwarzen, der, vor sich hin murmelnd,
den Gehweg entlangkam. Als er näher kam, merkte ich, daß er in Wirklichkeit in
ein Walkie-talkie murmelte, und ich erkannte das vertraute Barett der Guardian
Angels. Er nickte mir im Vorübergehen zu.
    Das war ja alles schön und gut,
aber er sah nicht gerade aus, als sei er dem Kerl gewachsen, der an dem
ausgebrannten Hotel lehnte und sich mit einem Schnappmesser die Fingernägel
reinigte. Und diese Nutte dort drüben, die eben einem vorbeirollenden Freier
den erhobenen Mittelfinger gezeigt hatte, mochte zwar ein Chiffonkleid tragen,
hatte aber Oberarmmuskeln wie ein Schwergewichtsboxer. Ich sah ängstlich zum MG
hinüber, dachte dann aber, zum Teufel, was soll’s. Mein Mechaniker mochte ihn
ja für ein Juwel halten, aber für mich war er nur ein Auto, und zwar bestenfall
eins, das immer unzuverlässiger wurde.
    Ich ging die Straße entlang,
wobei ich jeden Blickkontakt mit Vorübergehenden mied und mich ganz auf den Club
Turk konzentrierte. Er lag im Erdgeschoß eines schmalen Hauses, das aussah
wie die meisten in diesem Block, und war nur zu erkennen durch ein großes,
schwarzes Fenster mit irisierenden Farbfäden in Blau, Silber, Pink, Lila und
Grün und dem lila Namenszug.

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