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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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war, was ihren Vater betraf, denn zwei, drei Tage
später hat er die Suche nach ihr abgeblasen, und von da an hat er so getan, als
hätte es sie nie gegeben. Ich hatte, ehrlich gesagt, schon so meinen Verdacht,
aber ich wollte es gar nicht wissen.« Sie zögerte, die Lippen zusammengepreßt.
»Wenn es dazu beitragen kann, Lee vor irgendeiner Gefahr zu bewahren...«
    »Ja?«
    »Dann weiß ich vielleicht,
wer’s Ihnen sagen kann.«
     
    Roberta Tuggle stauchte gerade
einen Gabelstaplerfahrer zusammen, der offenbar eine Ladung Kartons mit
Kloschüsseln auf den Boden des Lagers von Tuggles Baumarkt — vormals
D’Silva-Baustoffe — hatte knallen lassen. Der stämmige, große Mann stand mit
gesenktem Kopf da, während die drahtige kleine Frau ihm seine Nachlässigkeit in
Formulierungen vorhielt, die selbst meine nicht allzu empfindlichen Ohren
schockten. Als er davongeschlichen war, bemerkte sie mich und herrschte mich
an: »Was zum Teufel wollen Sie hier?«
    Ich mobilisierte mein
verbindlichstes Lächeln, streckte ihr meinen Ausweis hin und sagte: »Carolyn
Alpert hat Sie telefonisch —«
    »Oh, verflixt!« Tuggle fuhr
sich über das kurze graue Haar. »Sorry. Kommen Sie ins Büro.«
    Ich folgte ihr über eine
Eisentreppe zu einem Glaskäfig, von dem aus man das ganze Lager im Blick hatte.
Tuggle goß sich einen Becher mit einer schlickigen Brühe voll, die wohl am
Morgen aufgebrühter Kaffee sein mußte, und sah mich fragend an. Ich schüttelte
den Kopf, und sie zeigte auf einen der beiden Klappstühle an dem mit Rechnungen
übersäten Schreibtisch und ließ sich selbst auf dem anderen nieder.
    »Jetzt haben Sie mich gleich
von meiner schlechten Seite erlebt«, sagte sie. »Ich hätte den Mann nicht so
fertigmachen sollen — er ist neu hier. Aber verdammich, diese Scheißdinger sind
teuer. Also,
    was hat Carolyn noch mal
gesagt? Ah ja, Sie wollen was über
    Hal und Lee D’Silva wissen.«
    »Sie haben das Geschäft von Mr.
D’Silva gekauft?«
    »Mein Mann Dave und ich, ja.
Zwei Jahre drauf ist der alte Dave — hinterfotzig, wie er ist — mit der Witwe
Tyler auf und davon. Ich habe ihm eine gute, aber faire Abfindung gezahlt, die
Firma übernommen und ihm das Haus, die Boote und den brummigen Hund gelassen.
Jetzt machen mich all die wohlhabenden Rentner, die hier raufziehen, reich,
aber ich komm nicht dazu, selbst an den Ruhestand zu denken. Toll, was?« Sie
zwinkerte und trank, ohne mit der Wimper zu zucken, von dem morastigen Gebräu.
    »Carolyn sagt, Ihr Mann war bei
D’Silva tätig, ehe Sie beide dann die Firma übernahmen?«
    »Ja, als Verkäufer. Als
Verkäufer war Dave ein As. Selbst ich hab ihm jahrelang die windigsten Ausreden
abgekauft. Ich, ich war Buchhalterin, hab meine eigene Küchentisch-Firma
aufgemacht, als unsere Jungs noch klein waren. So sind wir überhaupt an diese
Goldgrube hier gekommen.«
    »Wie?«
    »Das war so: Das D’Silva-Mädel
hatte ja hier das Büro und die Buchhaltung gemacht, eh sie durchgebrannt war.
Damals stand grade die Steuererklärung an, und Hal brauchte schnell jemanden,
also hat er mich geholt. Und ich hab’s sofort gemerkt.«
    »Was?«
    Sie lächelte, stützte die
Birkenstock-beschuhten Füße auf die Schreibtischkante und genoß es, mich
hinzuhalten.
    Ich unterdrückte meine
Ungeduld. »Muß ja was Tolles gewesen sein.«
    »Für Dave und mich schon, ja.«
Ihr Lächeln verflog. »Für Hal D’Silva war’s ziemlich verheerend. Wie’s aussah,
hatte sein geliebtes Töchterlein mindestens ein Jahr lang Geld unterschlagen,
so in der Größenordnung von hunderttausend Dollar. Während Hal zugucken mußte,
wie seine Frau starb, hat Lee die Bücher frisiert. Die Firma war fast bankrott,
also haben Dave und ich angeboten, sie ihm abzunehmen.« Sie hielt inne, setzte
defensiv hinzu: »Für einen guten Preis, wenn man bedenkt.«
    »Das glaube ich gern. Und Mr.
D’Silva hat die Unterschlagung nicht angezeigt?«
    »Kindchen, der Mann ist stolz.
Sein Ruf hier im Ort war sowieso schon reichlich angeknackst durch die
Trinkerei seiner Frau. Meinen Sie, er wollte, daß auch noch seine perfekte
Tochter als Diebin dasteht?« Sie trank wieder von dem gräßlichen Gebräu, und
ihr rundes Gesicht nahm einen betrübten Ausdruck an. »Der Mann war am Boden
zerstört, wollte nur aussteigen. Eine Bedingung bei unserem Geschäft war, daß
wir niemandem erzählen, was Lee getan hatte. Sie sind der erste Mensch, dem
ich’s sage.«
    »Warum mir?«
    »Weil Carolyn gesagt hat, Lee
ist in Gefahr.

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