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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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und sah mich um.
Hier unten hatte sich nicht viel verändert.
    Der Boden des Eingangsflurs war
mit etwas bedeckt, das wie abgetretener und fleckiger AstroTurf aussah. An der
Rückwand befand sich ein backsteingefaßtes Beet aus blauen Kieseln, in denen
Plastikblumen steckten. Zu meiner Zeit waren es Geranien gewesen; jetzt war es
eine seltsame Mischung aus Tulpen und Weihnachtssternen und dazwischen ein paar
Orchideen. Das bedeutete wohl, daß Tim O’Riley hier immer noch Hausmeister war.
Er hatte immer schon einen schauderhaften Geschmack gehabt.
    Die Apartmenttüren auf diesem
Stockwerk hatten Wellglasscheiben — ein Sicherheitsproblem. Ein Wunder, daß sie
nicht schon längst von Einbrechern eingeschlagen worden waren. Die Scheibe der
einen vorderen Tür war sanft erleuchtet, aber die hinteren waren beide dunkel.
Ich schlüpfte in die Nische unter der Treppe und musterte die Tür, die einst
meine gewesen war, genauer.
    Sie war nur angelehnt.
    Eine Falle? Vermutlich nicht.
Wieder so ein Spielchen. Wahrscheinlich.
    Ich schlich hinüber, stieß die
Tür mit dem Fuß auf. Zog im Durchschlüpfen die Waffe. Links von mir zeichnete
sich der Rahmen der Badtür im schwachen Schein eines Nachtlichts ab. Gleich
dahinter war der dunkle Eingang zur Küche. Ich schob mich zentimeterweise die
andere Flurwand entlang, registrierte die leere altertümliche Telefonnische auf
halbem Weg zum Hauptraum.
    Im Bogendurchgang zum Hauptraum
blieb ich stehen. Drinnen nur Dunkel, kein Geräusch, nicht mal das leise Atmen
einer Schlafenden. Nichts als diese vertraute
Hier-wohnt-niemand-mehr-Atmosphäre.
    Ich griff nach dem
Lichtschalter. Meine Finger trafen ihn, als sei ich erst an diesem Morgen hier
ausgezogen.
    Und das hätte sehr gut der Fall
sein können. So wenig hatte sich verändert.
    Geradeaus standen der
Couchtisch und die beiden Heilsarmeesessel, die ich beim Auszug zurückgelassen
hatte. Jemand hatte sich ihrer angenommen, Flecken entfernt, von denen ich
gedacht hatte, daß sie nicht mehr rausgehen würden. Eine Matratze mit
zerwühltem Bettzeug lag im Erker, wo auch mein Bett gestanden hatte. Meine
alten Ziegelsteine-und-Bretter-Regale standen, jetzt leer, an der
gegenüberliegenden Wand.
    Ich ging zu dem begehbaren
Kleiderschrank und guckte hinein. Er war tief, mit einem eingebauten
Schubladenteil. Hier hing nichts, und die Schubladen waren leer, aber an einem
Haken hinter der Tür hing ein roter Seidenmorgenrock.
    Mein Morgenrock. Ich erkannte
ihn an den eingestickten Initialen auf der einen Manschette. Ein Geschenk von
meiner Schwester Charlene, die eine Kennerin in Sachen Luxuswäsche ist. D’Silva
mußte ihn aus meinem Haus gestohlen haben; ich trug ihn so selten, daß ich es
gar nicht bemerkt hatte.
    Ich nahm den Morgenrock vom
Haken, atmete den Duft von Dark Secrets. Hängte den Morgenrock wieder
zurück.
    Ein Alkoven verband Küche und
Hauptraum. Der kleine Eßtisch und die beiden Stühle, die dort schon bei meinem
Einzug gestanden hatten, drängten sich immer noch in dem kleinen Schlauch. Auf
dem Tisch lag ein Korkenzieher, und daneben stand ein Weinglas. Ich ging durch
in die Küche zu dem alten Kühlschrank, der an der Wand montiert war, wohl
wissend, was ich dort finden würde. Deer Hill Chardonnay. Nach meinen Maßstäben
vergeudete D’Silva ein Vermögen für Wein, der nie getrunken wurde. Ich musterte
die gekühlte Flasche voller Abscheu, aber dann fiel mir ein Textfetzen aus
einem alten Countrysong ein — irgendwas vom Bier des Teufels, das man ruhig
trinken kann, ohne sich dem Teufel zu ergeben — und ich nahm die Flasche an
mich. Ich wußte, daß ich, allem Anschein zum Trotz, nicht allein war. D’Silva
hatte das Apartment garantiert verkabelt. Ich ging wieder in den Hauptraum, sah
mich noch einmal um und begann dann laut und deutlich zu sprechen.
    »Danke für den Wein, Lee.
Diesmal nehme ich ihn an, aber ich finde es gar nicht amüsant, daß Sie meinen
Morgenrock gestohlen und Ihre Männer in meine alte Wohnung mitgenommen haben.
Eine Frage: Haben Sie die Miete von dem Geld bezahlt, das Sie in der Firma
Ihres Vaters unterschlagen haben?«
     
    Tim O’Riley war nicht entzückt,
mich zu sehen. Nicht um diese Zeit.
    Er trug einen verschossenen
karierten Bademantel, hatte einen Stoppelbart und eine Bierfahne. Sein Gesicht
war roter, als ich es in Erinnerung hatte, und er war kahl geworden. Als er
mich auf seine Glatze starren sah, fuhr er sich mit der Hand darüber, als
wollte er sich vergewissern, daß sie

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