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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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in die Hand. Er starrte sie an, als hätte er in der
Lotterie gewonnen, murmelte etwas, was ein Dankeschön sein mochte, und wankte
in Richtung Fußgängerübergang.
    In einem, wie ich mir einbilde,
für mich völlig untypischen Anfall von Boshaftigkeit wünschte ich, ein
Rotsünder würde ihn überfahren.
    Jim verschwand im Club, und ich
ging zur Ecke, bog nach links und folgte der Twentysecond Street bis zu der
Gasse, die hinter den Häusern entlangführte. Wenn man jahrelang in einem Haus
gewohnt hat, kennt man alle Schlupflöcher. Dieses Haus hatte zu meiner Zeit
derer viele gehabt. Die Zeit ändert vieles, aber wenn mein alter Kühlschrank
noch existierte, waren vielleicht auch noch ein paar andere Dinge unverändert.
     
    Die rückwärtigen Fenster des
Studios — über der Erdgeschoßgarage — waren dunkel, und das zur Feuerleiter war
zu. Ich erwog, raufzusteigen und nachzugucken, ob es wirklich verriegelt war,
entschied mich dann aber dagegen; wenn D’Silva da war, wollte ich sie nicht
alarmieren.
    Die Garagentore waren
heruntergelassen und abgeschlossen. Das Haus hatte nur vier Garagenplätze, und
die Mieter, die extra dafür bezahlten, hüteten sie eifersüchtig. Die Tür zu dem
schmalen Gang, der zur Hausmeisterwohnung gleich neben dem Heizungsraum führte,
war immer ein Schwachpunkt gewesen, aber jetzt fand ich sie mit einer Gittertür
gesichert. Na ja, da war immer noch die Feuerleiter zum Dach. Dort oben hatten
die Mieter früher Sonnenbäder genommen und Gemüse und Blumen in Kübeln gezogen;
die Tür zum Dach war selten abgeschlossen gewesen.
    Ich stieg hinauf.
    Die Metalleiter wackelte
bedenklich unter meinem Gewicht, und die Absätze auf den einzelnen Stockwerken
schienen nur unwesentlich stabiler. Ich fragte mich, wann diese Konstruktion
wohl zuletzt von den Feuerwehrinspektoren abgenommen worden war. Wahrscheinlich
schon seit Jahren nicht mehr; die Feuerwehr war, wie unsere anderen städtischen
Einrichtungen auch, unterbesetzt und überlastet, und vermutlich stand diese
Gegend ziemlich weit unten auf ihrer Liste.
    Oben auf dem Dach wagte ich
nicht, auch nur meine kleine Taschenlampe zu benutzen. Doch meine Augen
gewöhnten sich rasch an das Dunkel. Drüben rechts war die Tür zur Treppe; die
hölzerne Plattform, wo sich Sonnenanbeter und Gärtner versammelt hatten, war
verschwunden. Die bröselige Dachbeschichtung knirschte unter meinen Füßen. Ich
trat versehentlich gegen eine Aludose, hörte sie gegen die Betonwand scheppern.
Erreichte die Tür, fand sie jedoch abgeschlossen.
    Was jetzt?
    Das Treppenhaus-Oberlicht. Ich
spähte hinüber und sah das Kantholzstück, das es offenhielt.
     
    Ich hielt mich am Rahmen der
Oberlichtluke fest und ließ mich langsam hinab. Schwang die Füße zu dem
Fenstersims, von dem ich wußte, daß es sich auf halber Höhe der rechten Wand
befand. Und trat ins Leere.
    Verdammich, ich bin zu alt für
solche Turnübungen!
    Ich holte noch mal Schwung, und
meine Füße fanden den Sims. Jetzt bestand der Trick darin, vorsichtig den
Oberlichtrahmen loszulassen, mein Gewicht auf den Sims zu verlagern, einen
festen Stand zu finden und dann das restliche Stück hinunterzuspringen. Und das
alles besser schnell, weil meine Hände schweißfeucht waren und meine Finger
abzurutschen drohten.
    Heute nachmittag bin ich von
dieser Startbahn ins Nichts geschossen, ohne mir was dabei zu denken. Warum
bringt mich das hier ins Schwitzen?
    Na ja, Tragflächen und ein
Verbrennungsmotor helfen eine Menge.
    Ich löste eine Hand vom Rahmen
des Oberlichts und umfaßte den Fensterrahmen. Meine Finger rutschten, fanden
dann Halt.
    Auf geht’s!
    Ich löste die andere Hand,
umfaßte die andere Seite des Fensterrahmens. Kauerte unsicher auf dem Sims,
preßte mich, schwer atmend, in die kleine Nische. Dann manövrierte ich mich in
eine halb sitzende Position, stieß mich ab, landete mit einem dumpfen Plumps
und taumelte gegen das Treppengeländer.
    Ich war im Treppenflur des
Obergeschosses. Zu beiden Seiten je ein Paar geschlossene Türen. Ich lauschte,
hörte nichts, sah kein Licht durch die Ritzen. Rasch schlich ich die Treppe
hinunter, die Hand auf der .357 in meiner Jackentasche. Die Deckenbeleuchtung
im nächsten Treppenflur war halb kaputt; aus einem der vorderen Apartments
drangen Salsaklänge. Ich witschte durch das Schummerlicht zu der Treppe, die in
den Eingangsflur im ersten Stock hinabführte. Unter mir brannte Licht —
ebenfalls schummrig. Ich blieb auf der untersten Stufe stehen

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