Wenn aus Verlangen Schicksal wird
Aristedes, dass er ihn in den Hochstuhl setzen und ihm ein Lätzchen umbinden sollte.
Nachdem er seine Aufgaben erfüllt hatte, verschränkte er mit stolzem Lächeln die Arme. Doch Selene warf ihm einen süffisanten Blick zu. „Da ihr zwei euch so blendend versteht, kannst du auch gleich noch den Rest der morgendlichen Aufgaben erledigen.“
„Du meinst, dass ich ihm Essen geben soll?“ Aristedes klang, als könne er sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als ein Kind zu füttern. Sein Entsetzen brachte Selene zum Lachen. „Jede Sekunde ein neuer Schock, hm? So sieht der Alltag mit einem Baby nun mal aus.“
Resolut reichte sie ihm zwei Babygläschen und einen Plastiklöffel. „Los, er hat Hunger.“
Unsicher tauchte Aristedes den Löffel in den Obstbrei und bugsierte ihn in Alex’ Mund. Als sein Sohn gierig schluckte, lachte er erfreut auf und gab ihm den nächsten Löffel. „Mann, der kann ja gar nicht genug kriegen!“
In letzter Sekunde konnte Selene sich davon abhalten, mit den Fingern durch sein dichtes, dunkles Haar zu fahren. „Erinnert dich das an jemanden?“
Er lächelte sie an. „Wir Sarantos-Männer brauchen viel Energie.“
„Alex ist kein Sarantos.“
Noch während sie redete, bereute Selene ihre harten Worte, doch es war zu spät. Der fröhliche Ausdruck in Aristedes’ Augen wich etwas Dunklem, Abgrundtiefem.
„Ich meinte ja auch nur in biologischer Hinsicht“, sagte er nach langem Schweigen. „Ansonsten ist er natürlich durch und durch ein Louvardis.“
Selene fragte sich, wie wichtig es Aristedes wohl war, seinen Sohn zu einem Sarantos zu machen. Schließlich war er immer noch ganz und gar Grieche.
Bis Alex seine Gläschen leer gefuttert hatte, sprach niemand mehr ein Wort. Zum Glück war der Kleine so sehr mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt gewesen, dass er die plötzliche Anspannung zwischen seinen Eltern nicht bemerkt hatte. Selene gab Aristedes schweigend zu verstehen, dass er seinen Sohn aus dem Hochstuhl nehmen und ihr in das sonnendurchflutete Wohnzimmer folgen sollte.
Während sich Alex im Laufstall seinen Spielsachen widmete, gesellte sich Selenes Kater Apollo zu ihnen. Normalerweise würdigte er Fremde keines Blickes, doch Aristedes schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte, kam er näher und strich schnurrend um die Beine des Besuchers, der ihn überrascht streichelte.
Dann richtete sich Aristedes wieder auf, und im selben Moment schien das geräumige Wohnzimmer zusammenzuschrumpfen.
„Ist Alex eigentlich sein ganzer Name oder eine Abkürzung?“
Selene schluckte. „Alexandros. Er heißt Alexandros.“
Aristedes nickte beifällig. Der Name schien ihm zu gefallen. „Und er ist neun Monate alt“, bemerkte er.
„Zehn.“ Sie beobachtete, wie er kurz nachrechnete und ihr dann einen überraschten Blick zuwarf.
„Aber …“
Selene straffte die Schultern und sah ihn herausfordernd an. „Denkst du jetzt, dass er vielleicht doch nicht von dir ist?“
Ohne zu zögern, erwiderte er: „Ich wei ß, dass er mein Sohn ist. Erstens sieht man es ihm auf den ersten Blick an, und zweitens weiß ich, dass du mich in diesem Punkt nie im Leben belogen hättest. Er muss also ein Frühchen gewesen sein. Was ist passiert?“
„Placenta praevia. Das ist eine Fehllage der Plazenta.“
Er sah sie auffordernd an, wollte mehr wissen.
„Ich bekam Blutungen, und eine Woche später setzten die Wehen ein.“
„Hattest du Schmerzen?“
„Nur bei den Wehen. Die Blutungen tun nicht weh.“
Ein seltsamer Ausdruck, den Selene nicht deuten konnte, huschte über sein Gesicht.
„Ich wünschte, ich wäre bei dir gewesen.“
Ihr Herz tat einen Satz.
Dann schenkte er ihr ein sanftes Lächeln. „Aber wenigstens bin ich jetzt hier.“
Seine Worte verunsicherten Selene so sehr, dass sie seinem Blick auswich und sofort das Thema wechselte.
Nachdem sie bemerkt hatte, dass sie langsam Hunger bekam, überraschte Aristedes sie wieder, diesmal mit seinen Kochkünsten. Im Handumdrehen bereitete er ein sensationelles Frühstück zu und deckte den Wohnzimmertisch.
Als sie sich gesetzt hatten, sah er sie neugierig an. „Na dann erzähl mal. Wie verbringt ihr eure Wochenenden normalerweise?“
Sie schluckte einen Bissen köstliches Gemüseomelett herunter. „Erzähl du zuerst.“
Achselzuckend sagte er: „Ich habe keine Wochenenden.“
Selene winkte ab. „Klar. Hatte ich ja auch nicht, bis Alex kam.“
„Hast du die ganze
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