Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
schimmernde Licht des Vollmonds. Eine Tasche stand umgeworfen, eine andere halb ausgepackt auf dem grünen Teppich des Fußbodens.
Gwen saß im Bademantel auf dem Bett ihres Hotelzimmers und starrte aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Sie fühlte sich aufgezehrt und betrogen, fühlte sich … vergewaltigt. Genau genommen, war sie das ja auch. Nur, weil man sich fügte und etwas tat, das man eigentlich nicht tun wollte – oder vielleicht schon tun wollte aber nicht auf diese Art und Weise, nicht in diesem Zusammenhang, nicht so – bedeutete das nicht, dass es damit weniger Zwang, weniger
Vergewaltigung
war.
Dass ihr
Vergewaltiger
jemand war, den sie kannte, der ihr nahe stand, für den sie … viel empfand, änderte genauso wenig irgendetwas an diesem Fakt. Das Gefühl, das in ihr gebrannt hatte, als ihre und Nikolajs Haut sich berührt hatte, lag immer noch präsent auf ihrem ganzen Körper, bitzelte noch immer in jeder Faser, jedem Nerv, jedem Stück ihres Seins. Es war seltsam intensiv gewesen. Anders als jeder Sex, den sie bisher gehabt hatte. Man war sich ja allgemein darüber einig, dass körperliche Vereinigung so manches auslösen und freisetzen konnte. Angefangen mit schubartigen und überdimensionalen Entladungen von Glückshormonen, hin zu einem körperlichen und euphorischen Schwerelosigkeitsgefühl, bis zu einem tatsächlichen kurzzeitigen Bewusstseinsverlust. Doch das, was sie empfunden hatte, ließ sich nicht mit den üblichen Definitionen beschreiben, denn es war schlichtweg anders gewesen. Es war nicht nur ihr Körper gewesen, der reagiert hatte. Etwas anderes in ihr – von ihr – hatte sich in einem veränderten Zustand befunden.
Sie musste an Nikolajs Worte denken:
„Ich bin weitaus stärker als ein normaler Mann – was jedoch nicht bedeutet, dass eine normale Frau weniger zerbrechlich ist. Ich habe sie gebrochen. Körperlich, aber vor allem geistig. Du hast nichts mehr für sie tun können, weil ich bereits alles Lebendige von ihr fortgenommen habe.“
War das, was sie wahrgenommen, jene Intensität, die sie empfunden hatte, genau das? Der Ansatz jenes „Zerbrechens“?
Als ob sie abtasten wollte, ob sie noch heil war, ließ sie ihre Finger über ihren Körper gleiten. Sie schüttelte den Kopf. Sicherlich ging es hier mehr um ein geistiges Brechen. Wenn der Geist gebrochen wurde, dann brach auch der Körper. Aber sie war nicht gebrochen. Sie war noch sie selbst. Wenn auch ordentlich in Mitleidenschaft gezogen.
Auch nach wiederholtem und wiederholtem Male des Erinnerns und Auflebenlassens, konnte sie immer noch nicht begreifen, was mit Nikolaj passiert war. Wie er auf einmal so hatte sein können. Wie er auf einmal so zu ihr hatte sein können …
Erneut hallten Nikolajs Worte in ihrem Inneren wider:
„Einem Teil von mir ist das aber gänzlich egal, denn wenn er etwas will, dann nimmt er es sich schlicht und einfach.“
Sie hatte gewusst, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung war. Dass etwas an ihm anders war. Von dem Moment an, als sie sich aufgerichtet und ihn angesehen hatte. Sie hatte gespürt, dass sie ihn nicht mehr spüren konnte. Etwas hatte ihre Verbindung zueinander blockiert. Etwas hatte im Weg gestanden und verhindert, dass sie ihn wahrnehmen und fühlen, ihn erreichen konnte.
Es war ein grauenhaftes Gefühl gewesen. So, als ob man im schlimmsten Unwetter draußen vor verschlossener Tür steht und nicht ins Innere gelassen wird, weil man nicht mehr erwünscht, plötzlich ein fremder, unwillkommener Gast ist. Quid pro quo: Sie hatte Nikolaj einen Dolch in den Rücken gestochen und er hatte sie dafür ausgesperrt.
Was den Akt im Schlafzimmer betraf, so war er nicht gänzlich grob und gewalttätig gewesen, wie es nach seiner vorherigen Szene zu erwarten gewesen wäre. Dennoch hatte er ohne Umschweife genommen, was er von ihr gewollte hatte. Und sie hatte es ohne Gegenwehr zugelassen …
Zwei Tage waren inzwischen vergangen, seit sie aus seiner Wohnung geflüchtet und sich aus der Stadt – von ihm – entfernt hatte. Gestern Vormittag hatte sie in dieses Hotel mitten in der Innenstadt eingecheckt und die Zeit seither abwechselnd im Bett und in der Badewanne verbracht. Jedoch hatte es weder das dicke Daunenbett noch das heiße Badewasser geschafft, die Kälte, die in ihrem Inneren herrschte, zu vertreiben.
Aus einem unwillkürlichen Impuls heraus rieb sie ihre Finger an und ineinander. Vielleicht, um sie zu wärmen. Vielleicht, um einfach irgendetwas zu
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