Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Titel: Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Andrea Huber
Vom Netzwerk:
jetzt so durchdringend von ihm angesehen zu werden und zu wissen, wie er sie einst angesehen hatte.
    Mit dem letzten bisschen Kraft protestierte sie aus dumpfer Ohnmacht heraus. „Nick … bitte … “ Bebend kamen die Worte hervor und verklangen sogleich wieder. Ein unbändiges Schluchzen aus ihrem Inneren machte sich Luft und entwich ihrer Kehle in trockenen und abgehakten Stößen.
    Nikolaj trat wieder an sie heran, presste sie mit seinem starken Oberkörper noch dichter an die kalte Spiegelfläche und legte ihr eine Hand über den Mund. Nicht grob, sondern gerade so fest, um ihr Wimmern zu drosseln.
    „Sch-sch-sch-sch … lass dich einfach fallen … lass mich dich einfach nur spüren ... Es ist leichter, wenn du nicht dagegen ankämpfst … Für dich und für mich …“ Es klang gebieterisch mit der unterschwelligen und hauchfeinen Nuance einer verborgenen Bitte versetzt. Vielleicht wollte sie aber auch nur, dass es sich so anhörte.
    Nikolaj schmiegte sein Gesicht dicht an ihre Wange, sog die Luft ein und gab mit rauchiger Stimme von sich: „Hmmm … schon damals, als ich dich das erste Mal getroffen hab, hast du so gerochen. Süßlich. Lieblich. Verlockend. Ich hatte damals noch nie etwas Derartiges gerochen aber jetzt weiß ich, dass es vergleichbar dem Duft von Vanille ist …“
    Ihre Augen schlossen sich. Doch alles, war noch da. Er war noch da. Sie konnte ihn nicht einfach mit einem Blinzeln verschwinden lassen. Sie selbst konnte nicht einfach mit einem Blinzeln entweichen. Tränen rannen durch ihre geschlossenen Lider. Stumm und brennend.
    Nikolaj drehte den Kopf und einen Bruchteil später trafen seine Lippen wieder auf die Ihrigen. Er küsste sie, wie in einem Rausch. Hungrig aber dennoch nicht gänzlich grob. Der salzige Geschmack ihrer Tränen vermischte sich mit dem heißen Feuer von Verlangen und Leidenschaft, das er in ihren Mund drängte.
    Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass etwas in sie eindrang, ihre innere Welt zu stürmen und einzunehmen versuchte. Ein loderndes Feuer, hungrig und energisch. Ähnlich der Empfindung, die sie neulich Nacht während des sexuellen Akts empfunden hatte. Doch war es diesmal intensiver, präsenter – und nicht durch körperliche Vereinigung ausgelöst.
    Es war, als ob jemand vor ihren inneren Grenzen stehen und versuchen würde, hereinzukommen. Das Drängen des Eindringlings fühlte sich vertraut und gleichzeitig fremd an. Er verströmte zeitgleich einen Schwall von trunkener Sehnsucht, bohrender Kälte, loderndem Feuer und einen derart stechenden Schmerz, dass ihr die Luft wegblieb.
    Schließlich übermannte sie ein Schwindel, verströmte Kraftlosigkeit und Schwäche erst in ihren Beinen, dann in ihrem ganzen Körper. Ein paar Sekunden darauf entglitt ihr jegliche bewusste Wahrnehmung, körperlich, wie geistig. Sie fiel und verlor das Bewusstsein.

***
     
     

    Gwen war hier und gleichzeitig an irgendeinem anderen Ort. An der Hand wurde sie von Nikolaj durch die Flure des Kaufhauses geführt. Sie steckte wieder in ihrer Jeans, dem Pullover und dem Mantel. Das schwarze Kleid sowie die Einkaufstüte vom Schuhgeschäft trug Nikolaj in seiner anderen Hand.
    Sie erreichten die Kasse. Teilnahmslos beobachtete sie, wie die Kassiererin das Kleid abscannte, Nikolaj ihr Geld und sie ihm anschließend eine Tüte reichte. Dann fuhren sie gemeinsam mit der Rolltreppe ins Erdgeschoss und verließen das Kaufhaus.
    Draußen in der kalten Luft angekommen, hörte sie ihn fragen: „Wie wäre es mit Frühstück?“
    Sie konnte nicht antworten. Jedenfalls nicht sofort. Es dauerte einige Augenblicke, ehe sie die Worte hervorbrachte, die ihr als einzig wichtig galten: „Ich … muss noch zum Floristen, zum Bestattungsinstitut und zum Pfarrer. Ich brauche Blumen, einen Sarg und ich muss den Ablauf der Bestattung abklären. Ich habe es meiner Mutter versprochen.“
    Die bekannt verhasste Stimme in ihr flüsterte: 
„Warum sparst du dir deine Worte nicht? Glaubst du immer noch, er läge irgendeinen Wert darauf? Auf das, was du fühlst? Wie es dir geht? Dass dein Vater tot ist?“
    Kaum zu glauben. Ihre eigene innere Stimme prügelte sie nieder.
    Eine Minute verging. Dann noch eine.
    „Mach, was du nicht lassen kannst.“
    Erst als Nikolaj fertig gesprochen hatte, drang die Bedeutung seiner Worte zur Gänze zu ihr durch. Zumindest der Inhalt. Denn die Bedeutung, die ihn zu dieser „Erlaubnis“ bewogen hatte, wollte nicht ganz bei ihr ankommen.
    Er zog sie an sich,

Weitere Kostenlose Bücher