Wenn das der Führer wüßte
wieder: Unsere Fahne, die wir zum Führer tragen! Stolz sind wir, unbändig stolz, diese heiligen Fahnen ein Stück in die Ewigkeit tragen zu dürfen, zu dir, Adolf Hitler! Und manchmal, wenn durch die Fahnen der Wind rauscht, dann ists, als griffe deine Hand in sie – dort, wo die Hochöfen gluten und Schlote qualmen, an den Küsten, wo sich die Wellen im Sand verlaufen, in Heide und Wald, in den großen Städten und im kleinsten Dorf faßten sie Tritt gen Heydrich. Dieser Marsch, den kein Schlagbaum, keine Bombe, nicht die gelben Teufel, weder Not noch Tod aufzuhalten imstande waren, ist zugleich Ausdruck der Geschlossenheit und Wehrhaftigkeit unseres – aufs neue erwacht der nordische Mensch wie aus tausendjährigem Schlaf. Mit neuen Augen erblickt er die Welt, die sich durch den Tod des Führers und Reichsgründers zu wandeln beginnt. Der nordische Riese erkennt, daß er in einem Wahnglauben befangen – – – in dem wirbelnden Kriegsgeschrei, in der tosenden Brandung drohender Prophezeiungen und dunkler Absichten, in einer Welt voller Mord- und Habgier ist dieser Kyffhäuserberg, der Berg Friedrichs des Rotbarts, ein Hort des Friedens und der Besinnung auf uns selbst, zugleich aber auch eine feste Burg, der Fels, auf dem – – –“
Höllriegl hatte bei der Lehrerin angeklopft – noch immer war er wie entgeistert. Die Jungfer hatte ihm zögernd geöffnet, sie zitterte wie Espenlaub. Ob er es auch schon wisse? Was wisse? „Der Führer – es ist nicht mit rechten Dingen zugegangen.“
„Der Führer – was?“
„Der Führer …“ Ihre Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab: „… ist keines natürlichen Todes gestorben.“ (Blitzartig stand Höllriegl die Szene bei den „Unterirdischen“ vor Augen. „Hören Sie, was ich Ihnen sage, und sagen Sie es weiter …“) Die Eberlein war einer Ohnmacht nahe, Höllriegl mußte sie stützen und in die gute Stube führen, wo alles so traulich und sauber war und nach Rosmarinsalbe duftete. Hier gab es natürlich die Braune Ecke, jene mit Hoheitszeichen, Bildern, Parolen („Die Partei denkt für dich“) und einer bronzefarbenen, schwarz umflorten Hitler-Büste aus Gips geschmückte Kultstätte, wie man sie in vielen Familien antraf – auch der beispielhafte Kummernuß hatte sich eine solche eingerichtet und Damaschke in seiner Portierloge.
„Köpfler“, wisperte die Lehrerin, „der Werwolf …“ Woher sie das habe? „Einer sagt es dem andern, die ganze Stadt weiß es.“ Sie gab ihm eilig die Grütze und etwas Karlsbader Zwieback und drängte ihn auf den Flur hinaus. „Am liebsten möchte ich mich verkriechen, ich sterbe vor Angst.“ Er hörte, wie sie die Tür oben und unten absperrte und den Riegel vorschob. Auch hörte er sie laut schluchzen. Alles blanker Unsinn! Anzeigen müßte man die Bagasche, anzeigen! Müßte! Hatte er Unseld und Diebold verpfiffen? Und mit ihnen die „Unterirdischen“? Und Gundlfinger? Und Axel?
Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, in seinem Kopf drehte sich alles, als wäre er besoffen. Dieses lähmende Gefühl der Nackenstarre! Eben war eine große Ansage im Gang: die ausländischen Delegationen. Unmöglich, sich zu konzentrieren. Der „fremde Kopf“ kam – und wich. Wieder hörte er nur mit halbem Ohr hin, während er sich das Müsli zubereitete. „Hören Sie, was ich Ihnen sage, und sagen Sie es weiter.“ Diese gemarterte, unvergeßliche Stimme!
Brausende Siegheilrufe „– an ihrer Spitze der Führer der Italienischen Sozialen Republik: Italo Vinciguerra! [Nicht enden wollende Siegheil- und Evvivarufe.] Hinter ihm die Abordnung des Großen Faschistischen Rates unter der Führung des Kriegshelden Ercole Farinacci. [Evvivarufe und die Klänge der „Giovinezza“.] Der Generalsekretär der Faschistischen Partei, Marcello Prati, mit sieben Secretari Federali. Eine Abordnung der Faschistischen Milizen, angeführt vom Oberkommandierenden Conte Giorgio della Rovere – die Abordnung besteht aus den Legionsgeneralen Nicola Lorusso, Achille Sanvitale, Ascanio Sforza, Marquese Filippo d’Este, Cosimo Valori, Ottavio Buzardo, Carlo Strozzi und den Kohortenführern Attilo Sani, Francesco Pepoli, Basilio Dionisi, Marquese Sergio della Santa Salsa, Giancarlo Neri, Lionello Pandone. [Siegheil! Siegheil!] Der Balilla-Führer ‚Carlino’ Granvella mit seinem Adjutanten Ugo Sangiorgio. Der Vorsitzende des Faschistischen Presserates, Commendatore Lorenzo Malfoto. Der Ehrenpräsident des Fascio Berlin, Dr.
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