Wenn das der Führer wüßte
bauen über den schweigenden Massen einen Dom aus flüssigem blauem Licht.
Majestätisch wölbt sich dieser Lichterdom – dieser deutsche Lichterdom – über uns alle. Welch unvergeßliches Schauspiel! Fast zu schön, fast zu gewaltig, als daß Menschen es fassen könnten! Tausende von Scheinwerfern sind es, die von der Wehrmacht rund um den Schlachtberg aufgefahren wurden und die nun ihre Strahlengarben senkrecht in den nächtigen Äther hinaufsenden. Wie ein Wall von Licht sind diese gleißenden Bündel um das dunkle Rund des Kyffhäusergebirges gebaut. Und die Lichtfülle, die in der Unendlichkeit da oben die Initialen A und H bildet, formt die gigantische Kuppel dieses deutschen Doms – – –“
Höllriegl hatte mit immer frommer werdender Miene zugehört. Vor lauter Andacht war ihm die Kinnlade herabgefallen, der Mund stand halb offen. Sein Gesicht wurde kindlich, weich und verschwommen, es schmolz dahin wie unter dem Ansturm von Musik. Er lauschte angestrengt, um kein Wort zu verlieren, begriff aber nicht alles, was der Sprecher sagte. Ihn fröstelte, seine Gedanken waren fahrig und fiebrig, wanderten dahin und dorthin. Verwünschtes Schicksal, das ihn an einem solchen Tage zwang, untätig zu sein. (Dazu noch das unmännliche, unwürdige Leiden!) Warten, warten! Dieses aufreibende Warten! Er ging zum Fenster und sah lange in die flammende Pracht des Himmels. Ein Bild unsagbarer Schönheit und Macht – das war es! Die Führerinitialen konnte er nicht ausnehmen, das Licht blendete zu stark. Ein stechender Schmerz in den Augäpfeln ließ ihn die Lider schließen. Weiß Gott – er fühlte sich nicht wohl, er war krank. Wo nur Senkpiehl blieb? Warum zum Teufel rief er nicht an? Es war schon fast fünf – höchste Zeit! Wie schon öfters heute, wählte er die Nummer, seine Hände zitterten. Niemand meldete sich. Senkpiehl war natürlich unterwegs, vielleicht schon auf dem Weg hierher. Er konnte wohl nur schrittweise vorwärtskommen, wenn es überhaupt möglich war. Einen Arzt im Einsatz mußten sie aber durchlassen …
Eine markige Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher, die Reden hatten begonnen. „– – – in diesen Stunden der Besinnung, wo es Abschiednehmen heißt von Adolf dem Großen, wo es um den Bestand des Reiches und des Abendlandes geht, wo gemeine Horden aus den Tiefen Asiens, Untermenschen von in der Geschichte beispiellosem Blutdurst, aufgebrochen sind, um dem deutschen Volk die Früchte des gewaltigsten Sieges aller Zeiten zu rauben, um es zu unterjochen und auszurotten, wollen wir dieses hehre Treuegelöbnis für den neuen Führer … [Brausende Heilrufe und nicht enden wollende Sprechchöre „Japan verrecke!“] … für den neuen Führer in den Lichterdom über uns hinaufklingen lassen. Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Tausend Jahre Sehnsucht, Hoffen und Bangen, Blut und Opfer der Besten unseres Volkes haben in Adolf Hitler und seinem heiligen Dritten Reich ihre Krönung gefunden. Heute finden sie ihre Krönung in Ivo Köpfler. Tausend Jahre deutscher Geschichte –“ Die Stimme wurde von einem unbeschreiblichen Tumult verschlungen, aus dem sich allmählich scharf skandierende Sprechchöre lösten: „Heil Köpf-ler! Heil Köpf-ler! Heil Köpf-ler! Heil Köpf-ler! Heil Köpf-ler! Heil Köpf-ler! …“
Und Ulla? Wo war sie? Noch immer brannte die Schramme auf seiner Stirn. Wie einen Hund hatte sie ihn geschlagen – sie, die Herrliche! Gepeitscht! Aber er würde wieder vor ihr knien, winseln, ihr sogar die Peitsche bringen …
„– um die Wende herbeizuführen. Der Erbfeind der weißen Rasse hat versucht … [Immer wieder Rufe: „Europa erwache! Japan verrecke!“] … die gelben Teufel haben versucht unseren Kontinent zu überschwemmen, sie haben nicht davor zurückgescheut, die Schrecken des Atomkrieges zu entfesseln. Wir haben zurückgeschlagen, furchtbar zurückgeschlagen [Siegheil-Gebrüll und Trommelschlag], sie zum Schweigen gebracht. Die Verantwortung vor der Weltgeschichte trifft nicht uns, die wir mit einem Langmut sondergleichen dem verbrecherischen Treiben des Soka Gakkai … [Sprechchöre: „Gakkai verrecke!“] … und seiner imperialistischen Drahtzieher zugesehen haben, sie trifft ausschließlich –“
War Ulla noch in Deutschland? Er mußte sie suchen. Jetzt gleich! Aber wie? Unmöglich, durch die Menschenmassen durchzukommen. Zu Fuß! Oder doch? Sich durchkämpfen durch alle Widerstände, wie auch das deutsche Volk sich durchkämpfen mußte durch alle
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