Wenn das der Führer wüßte
Mädchen beschmierten und dabei gegenseitig die Kleider vom Leibe rissen. Diese wüste Stimmung, eine häßliche Begeisterung, hatte zuerst durchaus nichts Feindseliges. Erst als die NSKK-Suite und die SS -Männer des Spaliers brutal wurden, dreinzuschlagen und schließlich zu schießen anfingen, kam es zu einer scheußlichen „Holzerei“. Die aufgeputschte Menge, darunter viele Uniformierte, riß die NSKK-Leute von ihren Krädern, hielt die dem Panzer folgenden Wagen auf und zerrte die Insassen ins Freie. Dabei gab es einige bedauerliche Todesfälle. Auch einer der Lautsprecherwagen wurde ausgeräumt, und ein Mann in SA-Uniform begann über das Megaphon zu sprechen. Was er in die Dunkelheit hinausbrüllte, war zwar grauenerregend, klang aber merkwürdigerweise so erwartet und so vertraut, daß die Menge sich in ihrem Treiben nicht stören ließ. Der Führer sei von Köpfler auf bestialische Weise ermordet worden, schrie der Mann. Man wisse jetzt, daß Hitlers Leibarzt, im geheimen fanatischer Werwolfmann, im Laufe einer „Injektionskur“ beim Führer Leichenstarre erzeugt habe. Als Hitler aus dem Starrkrampf erwachte, lag er bereits in dem fest verschlossenen, massiven Sarg. Da der Sarg ein Luftventil besitzt, dürfte der Führer noch eine Zeitlang gelebt haben.
(„Vielleicht lebt er noch, liegt in qualvollem Sterben“, sagte Senkpiehl.) Wie es heißt, sollen Köpflers Spießgesellen, die die Totenwacht hielten, ein Kratzen, Scharren und Röcheln gehört und sich daran ergötzt haben. Auch das sogenannte Führertestament sei von A bis Z eine Fälschung, noch dazu eine simple; es wurde von einem Stimmdouble auf Band gesprochen. (Mit fast denselben Worten hatte Diebold den Mord geschildert; vor Höllriegls innerem Auge erstand die unterirdische Szene in allen Einzelheiten.)
„Köpfler hat“, fuhr Senkpiehl fort, der vergessen zu haben schien, daß die Zeit knapp war, „zweierlei damit bezweckt. Erstens, sich persönlich am Führer zu rächen, und zwar ganz speziell für das Zipperlein, das er seinerzeit in der Münchner Todeszelle ausgestanden hatte. Die Haupteigenschaften des ,Waldteufels’ sind nämlich Feigheit und Rachsucht. Zweitens wollte er durch einen kalten Putsch sich und seine Kreaturen an die Macht bringen, was ihm auch fast hundertprozentig gelungen ist. Denn von ganz wenigen Männern abgesehen, die aber nur unwichtige Posten im Kabinett innehaben, besteht die neue Reichsregierung durch die Bank aus Werwolfleuten, also Handlangern Köpflers – so ist zum Beispiel Hassenteufel einer der führenden NATMAT-Theoretiker. Natürlich gab es trotzdem die eine oder andere Panne. Die Hauptpanne ist Firbas. Von dem hatte Köpfler immer gedacht, er wäre ihm auf Tod und Leben ergeben, aber durch eine Verräterei kam es knapp vor dem Endschlag gegen den schwerkranken Führer heraus – Hitler laborierte, wenn Sies nicht wissen, an weit fortgeschrittener Arteriosklerose … Altersblödsinn heißt das im Volksmund –, es stellte sich also heraus, daß Firbas mit dem Bundschuh in engstem Kontakt war. Tuchfühlung – aber wie! Seit seiner öffentlichen Entmachtung ist Firbas unauffindbar. Wie wenn ihn der Erdboden verschluckt hätte – vielleicht haben sie ihn schon liquidiert. Mit dem Reichsführer SS hat Köpfler überhaupt Pech: zuerst Diebold, dann Firbas. Und Landsittel? Landsittel ist ein Mann, der aus dem Ostland-Selbstschutz hervorging, ein fanatischer SS ler und Asgard-Propagandist. Und was glauben Sie? Dieser Landsittel geht noch vor dem Zusammenbruch des Ostwalls sang- und klanglos zum Bundschuh über. Heute wissen wir das alles. Was aber der superschlaue Köpfler nicht wußte, ja nicht einmal ahnte, war, daß sich unmittelbar nach Hitlers Tod, recte: seiner langsamen Erstickung, die halbe Welt gegen die Neue Ordnung auflehnen werde. Die Japse hatten da die feineren Ohren – ich glaube, sie haben nur auf das Signal gewartet. Und es würde mich gar nicht wundern, wenn sie von Köpflers Mordabsicht schon zu einem Zeitpunkt gewußt hätten, wo dieser selbst sich noch nicht darüber im klaren war. Die können auf Tausende Kilometer Gedanken lesen. Und dann der fatale Zwischenfall mit dem Flugzeug! Der ist doch, darüber gibts keinen Zweifel, im RLM ausgeheckt worden, und das RLM untersteht unmittelbar dem Reichskriegsminister, und auch der heißt Köpfler. Also! Dabei war das Ganze so dilettantisch aufgezogen, daß sogar die gelben Küken lächeln. Oder haben Sie je gehört, daß eine A-Bombe
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