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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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verschwinden – das wars. In irgendeinem Erdloch den Morgen erwarten. Einen Sanitäter würde man überall brauchen. Notfalls war sein Name Senkpiehl, er hatte einen Einsatzbefehl, Kilometerstein soundsoviel. Wenn er Leute traf, SS , Werwolf, SA oder Bundschuh – ganz gleich, sie würden einen Sanitäter, einen versprengten, brauchen können. Doch sofort kamen ihm Zweifel. War sein Wagen nicht mehrmals beschossen worden? Das Rote Kreuz hatte aufgehört, tabu zu sein.
    Er ging zum Auto zurück, gedankenverloren, aufrecht und mitten auf der Straße. Ohne Waffen wäre er auch als Sanitäter geliefert. Die Pistole von Kummernuß trug er ständig bei sich. Er nahm noch den Karabiner heraus und etwas Munition. Vergaß auch den Zwieback nicht. (Die gute Eberlein!) Und Senkpiehls Papiere, die Wagenpapiere, den Einsatzbefehl – für den Eventualfall. Im Wagen stank es beißend nach Benzin, das Fahrzeug verlor auch Öl. Ein Wrack, weiter nichts. „Der hätte es bis Heydrich nimmer geschafft“, sagte Höllriegl zu sich und pfiff leise durch die Zähne. Damit war die Sache gedeichselt.
    Er schlug sich seitwärts in die Büsche – buchstäblich, denn er mußte über steile, dicht bewachsene Böschungen, einen Graben ohne Wasser und durch Weidengestrüpp. Im Zwielicht der Felder, das Erdreich war schmierig und die Raine mit hohem Buschwerk markiert, wanderte er langsam und tunlichst Deckung nehmend in Richtung des Bahndamms, den Karabiner schußbereit im Arm. Die Nacht konnte von Ungeheuern wimmeln.
    Es war kein Gerücht, sondern offiziell, daß der Bundschuh überall dort, wo er die Macht übernommen hatte, die Leibeigenschaft aufhob. Eine ebenso überflüssige wie leichtsinnige Maßnahme, ganz abgesehen von ihrer Vermessenheit, das heißt vom Verrat am Herrenmenschengedarken. Überflüssig, weil es ein offenes Geheimnis war, daß viele Leibeigene, soweit sie in Betrieben oder Haushalten arbeiteten, schon aus eigenem das Weite gesucht hatten (siehe Burjak); und leichtsinnig, weil bewaffnete Leibeigene – sie sollten teilweise vom Bundschuh selbst bewaffnet worden sein – alles, was einst Herr hieß, niedermachen würden, wobei es egal war, ob der Herr ein deutschblütiger Bauer und Bundschuh-Anhänger oder ein Goldfasan oder weiß der Teufel was war. Das große Ärgernis wurde aber in dem Umstand gesehen, daß der Bundschuh im Zuge der Aufhebung der Allgemeinen Zwangsarbeit für Untermenschen (AZfU, Führererlaß vom 11. September 1945, beziehungsweise 3. Durchführungsverordnung zum Leibeigenengesetz vom 8. Mai 1946 – Höllriegl wußte selbstredend die bezüglichen Artikel auswendig, das gehörte zur Allgemeinbildung des Amtswalters) sämtliche UmL in den von ihm kontrollierten Gebieten geöffnet hatte, ohne Unterschied, ob es sich um Stralag oder Strafalag handelte. In den Stralag wurden bekanntlich auch Missetäter oder Müßiggänger deutschen und artverwandten Blutes durch Zwangsarbeit zu einsatzwürdigen Volksgenossen umerzogen, wogegen die Strafalag die eigentlichen UmL waren. Die geradezu fürchterliche Gleichsetzung: Deutschblütiger = Untermensch war dem öffentlichen Urteil nach das Kardinalverbrechen des Bundschuhs, und es mochte daher wahr sein, daß die Bundschuh-Führung ursprünglich vor dieser Maßnahme zurückgeschreckt war, der „Arme Konrad“ aber durch Sofortaktionen etwaige Einschränkungen zunichte gemacht hatte.
    Nach alldem mußte Höllriegl jederzeit damit rechnen, von UmL-Häftlingen angefallen und abgemurkst zu werden, und was das bedeutete, darüber gab es gleichfalls handfeste Gerüchte. So hatte der Coburger nebenbei erwähnt, daß das Kreuzigen von Gefangenen – Anschlagen der schwer Mißhandelten ans Hakenkreuz – ein Hauptspaß der Freigelassenen war, ebenso das Pfählen. Seit einigen Tagen trieb in Unterfranken ein UmL-Kapo sein Unwesen, ein Pole, den seine Gefolgschaft nur den „Pfähler“ nannte. Dieser Untermensch hatte bereits Hunderte, vielleicht Tausende pfählen lassen. Die Körper wurden zerstückelt und sogenannte „Leichenwälder“ errichtet, die sogar die abgebrühtesten SD-Leute mit entsprechender Vorpraxis in den Julag der Kriegszeit mit Grausen erfüllten, wenn sie beim Durchkämmen auf solche Schindanger stießen. Auch hatte der Coburger berichtet, daß man gefangene SS -Leute so lange mit glühenden Zangen zwickte und zwackte, bis sie dem Befehl gehorchten, ihren sterbenden Kameraden das Fleisch vom Körper zu fressen. Höllriegl, dem das alles in wirren Bildern

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