Wenn das der Führer wüßte
pfeifend. In den Lungen stach es, und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Die Zeit, da er regelmäßig Geländesport betrieben hatte, war lange vorbei. Er war auch ausgepumpt. Immerhin, bei der SA hatte er im Dauerlauf stets seinen Mann gestellt – komisch, in dieser Situation mußte er an das Leistungsabzeichen denken, das er einst seinem Sturm hatte erringen helfen.
An einigen Punkten wies die Mauer schwere Beschädigungen auf – Artillerietreffer? Aber erst nach einer Weile fand er eine Stelle, wo sie so zerstört war, daß er über die Trümmer klettern konnte. Er tat es in größter Hast und verletzte sich im Geknäuel des Stacheldrahts. Keuchpause. Schmach und Schande – er war fertig.
Der Park schien ebenso verwildert wie das Land außerhalb der Mauer. Er bemerkte, daß der Stacheldraht der zweiten Reihe über Isolatoren lief – eine Teufelsfalle, gut getarnt. Verdammt vorsichtige Volksgenossen, diese Eyckes! Nur gab es keinen Strom mehr.
Hier drinnen führte wenigstens ein überwachsener Gehsteig am Gemäuer entlang, auf dem man rascher vorwärtskommen konnte. Der Wald zu seiner Linken schien undurchdringlich; da und dort zweigten Pfade ins Waldinnere ab, doch das hätten auch Irrwege sein können. Er mußte sich an die Mauer halten, das Herrenhaus war sicher nicht mehr weit. Und wieder begann er zu rennen.
Die Hunde jaulten jetzt ganz in der Nähe, Höllriegl hörte auch einzelne Stimmen und heiseres Gelächter. Zwischendurch die rasenden Schreie, die jäh, wie erstickt, abbrachen. Der Brandgeruch wurde schauerlich.
Er hielt an, mit fliegendem Atem, in seinen Ohren tobte das Blut. Nochmals überprüfte er den Karabiner. Das Gewehr kannte er, er hatte bei der Waffenübung im Juni damit geschossen und es auch zerlegen müssen. Automatik, Gasdrucklader, Mehrgeschoßpatronen – so ziemlich das Neueste im konventionellen Bereich. Alles in Ordnung. Nur die Hände zitterten lächerlich. Mechanisch fingerte er in den Manteltaschen nach der Ersatzmunition.
Als er dies tat, raschelte es seitlich im Gebüsch. Im selben Augenblick fühlte er sich von hinten eisern umklammert, während eine Gestalt von auffallend kleinem Wuchs, Zwerg oder Kind, die sich blitzschnell vor ihm erhoben hatte, nach dem Karabiner griff. Sekundenlang setzte sein Herzschlag aus. Dann aber – er war seit Stunden auf derartiges vorbereitet – kehrten Kaltblütigkeit und Kräfte zurück. Unbewußt, weil oft geübt, benützte Höllriegl die Technik des Karate, des Kampfes mit der „leeren Hand“. Das Gewehr hatte er fallen lassen.
Mit einem wuchtigen Ellbogenstoß lockerte er die Umklammerung des Hintermannes. Er hörte lautes Stöhnen und sah, wie der Kerl zusammensackte. (Später dachte er daran, daß dieser Stoß, der vielleicht zufällig das Sonnengeflecht des Gegners getroffen hatte, lebensrettend gewesen war.) Plötzlich funkelte etwas vor seinen Augen. Ein Messer. Er schnellte zur Seite, und der Stich, nach seinem Hals gezielt, schlitzte die Bluse auf, es war die Schultergegend. Mit gut placierten Handkantenschlägen hielt er sich den Zwerg vom Leibe, der große Kräfte zu haben schien und mit affenartiger Behendigkeit auf ihn einstach, ohne zu treffen – er hatte nun in jeder Hand ein Messer. Höllriegl traktierte ihn mit Fußtritten und Faustschlägen, und als der Kleine zurücktaumelte und einen Moment das Gesicht ungeschützt ließ, versetzte er ihm einen schweren Handballenstoß gegen das Kinn. Der Zwerg taumelte ins Gebüsch, und schon hatte ihn das Dunkel verschluckt.
Schwer atmend lehnte Höllriegl an der Mauer, das Gewehr war wieder in seinem Arm. Höchst unvorsichtig, dem Wald den Rücken zuzukehren. Man hatte ihn beobachtet – vielleicht schon, als er über die Mauer stieg. Wer waren die Burschen?
Er drehte den Bewußtlosen auf den Rücken – ein dunkles, bärtiges Gesicht, breite, gequetschte Nase, schräge Augen. Sicher ausgebrochene UmL-Häftlinge. Die Attacke hatte der Schußwaffe gegolten, es fehlte ihnen an Gewehren und Munition – eine einigermaßen beruhigende Aussicht. Und doch auch wieder beunruhigend, denn ein Messer tötet lautlos. Der Hirschfänger lag zu Haus in Heydrich, gerade den hätte er für den Nahkampf gut brauchen können. Er sah im Gras einen Gegenstand blitzen. Es war ein Brotmesser, ein Taschenfeitel, wie man in der Ostmark sagt. Er nahm es an sich.
In seiner Phantasie bevölkerte sich der Wald mit abenteuerlichen Gestalten. Den schußbereiten Karabiner gegen das Dickicht
Weitere Kostenlose Bücher