Wenn das der Führer wüßte
gerichtet, so eilte er weiter. Ein Glück, daß kein Schuß gefallen war, man konnte die Balgerei nicht gehört haben, und die zwei hatte er fertiggemacht. Die Stichwunde brannte, der Dolch schien am Schlüsselbein abgeglitten zu sein, das Hemd klebte an der Haut. Er merkte, daß er noch andere Verletzungen hatte, Schnittwunden an den Händen, auch der rechte Unterarm schmerzte. Sein Mantel war von Stichen zerfetzt.
Doch weiter, weiter!
Der Wald wurde schütterer und ging in eine verwilderte Parklandschaft über, durch das schon sehr entlaubte Geäst blickte gelbliches Mauerwerk. Das mußte die Pförtnervilla sein. (Höllriegl erinnerte sich, wie unheimlich das Haus in seiner Verlassenheit ausgesehen hatte.) Auch jetzt waren die hölzernen Fensterläden geschlossen – sahen durch die Ritzen Mörderaugen? Von hohen Sträuchern gedeckt, kroch er auf allen vieren an dem üblen Ort vorbei. Als er den Waldsaum erreicht hatte, atmete er tief. Den Finger am Abzug, spähte er in die Runde.
Vor ihm lag die Allee. Niemand zu sehen, er konnte sie also gefahrlos betreten, die mächtigen Stämme boten Schutz. Es war schon ziemlich hell, aber unter den dichtgepflanzten Bäumen, die noch nicht alle Blätter abgeworfen hatten, herrschte Dunkelheit. Da vorn, auf dem Vorplatz, schien eine Hetze los zu sein. Anscheinend wurde ein Freudenfest gefeiert, Schüsse knallten, und Betrunkene, Weinflaschen und Beutestücke als Trophäen über den Köpfen schwenkend, tanzten grölend um ein Feuer, eine Art Scheiterhaufen – sichtlich Schloßmobiliar, das zu einem Haufen geschichtet worden war. Auch das Herrenhaus brannte, und Funkengarben stoben gen Himmel, Die Luft war zum Ersticken.
Er huschte von Baum zu Baum und hatte bald den vordersten erreicht. Von hier aus konnte er den Vorplatz leicht überschauen, sofern der Qualm die Sicht nicht behinderte. Gut ein Dutzend Personen, hauptsächlich Männer, biwakierten zechend auf dem Rasen und den Kieswegen, und ein paar reglose Körper, halbnackt und in verdrehten Stellungen, lagen auf den Terrassenstufen. Der Rauch verzog sich ein wenig, und da sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern erstarren ließ. Einen Pferdekadaver als Brustwehr und Stütze benutzend, schossen zwei Männer abwechselnd nach einem Ziel, worauf jedesmal die Zuschauer in brüllendes Gelächter ausbrachen, sie schienen die Schützen aufzuziehen.
Das Ziel war ein Weib in Stiefeln und Reithosen. Es saß, auf einem Stuhl festgebunden, in der Tiefe der Wagenremise im grellen Licht der Autoscheinwerfer. Ein schönes Ziel! Das Haupt war nach hinten gesunken, das Hemd hing in Fetzen von den Schultern und ließ die Brüste frei. Quer über dem Schoß der Leblosen lag ein schmaler weißer Körper, der Körper eines Jungen. An seinem Hals klaffte eine breite Wunde, und der Kopf hing wie abgeschnitten nach unten.
Die Schießenden machten eine Kunstpause und begannen sich zu balgen. Einer der Herumstehenden lief in die Garage, holte einen Kanister, dann einen zweiten und stellte sie neben das Weib.
Im nächsten Moment brach der Feuerstrahl aus Höllriegls automatischem Gewehr. Noch nie im Leben war er so ruhig gewesen wie in dieser Sekunde, an die er sich später wie an eine schmutzige Ewigkeit erinnerte. Er mordete planmäßig und gut, die Hände zitterten nicht mehr, seine Sinne waren plötzlich ungeheuer geschärft. Der Mann in der Garage warf die Arme theatralisch in die Höhe und stürzte zusammen. Aus der fröhlichen Balgerei der Schützen wurde ein zuckender Knäuel, der jäh erstarrte. Dann ergriff es die Zuschauer des Schützenfestes, die Zechenden und die Tanzenden. Höllriegl sah mit wilder Freude, wie sie aufsprangen oder innehielten, mit offenen Mäulern dastanden und ins Leere stierten. Er sah die sich windenden Leiber und die Zuckungen. Sonst aber war alles wie auf dem Übungsplatz. Er sprang aus seinem Versteck hervor, die Pistole in der Hand. Hie und da rührte sich noch was. Aber die Patronen waren kostbar. Einer, der so jämmerlich schrie und zuckte, daß er wegsehen mußte, hätte ihm beinah den Gnadenschuß abgebettelt.
Er rannte in die Remise. War Ulla tot oder ohnmächtig? Gott sei Dank, sie atmete! Behutsam nahm er den Jungen von ihrem Schoß und legte ihn – es war wohl Manfred – auf den Boden, der über und über klitschig war. Sofort fing er an, Ullas Fesseln zu lösen. Er mußte läppisch lange arbeiten, die Bestien hatten ihr Opfer mit sadistischer Umständlichkeit gefesselt und festgeschnallt –
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