Wenn das der Führer wüßte
verwischt. Mlakar war ihr Mädchenname gewesen, Ulrike Mlakar, zweifellos war sie von dunkler, niederer Herkunft. In Parteikreisen kursierten die tollsten Witze und Gerüchte über sie, aber durfte man solche Ordinärheiten glauben? So hieß es, sie wäre schon mit zehn so schön und entwickelt gewesen, daß ein Baron Wrangell, ein ziemlich bemooster Karpfen, sie zu sich genommen und irgendwo in Estland auf einem Gut mit ihr zusammengelebt habe, um sie nach Erreichung des vierzehnten Lebensjahres zu ehelichen. Nun hatte aber den Mann eines Nachts, angeblich nach einer erklecklichen Anzahl von Nummern, der Herzschlag getroffen, und die dreizehnjährige Ulrike stand plötzlich auf der Straße. Als trauernde „Witwe“. Nach einer anderen, boshafteren Lesart war es ein Hochstapler gewesen, einer vom sogenannten „Wirballener Adel“, also ein Bürgerlicher, der die Kleine defloriert hatte. Oder den die Zehnjährige verführte. Sei dem wie immer – auch Ulla Frigg von Eycke hatte kein Geld gehabt. (Anselma, um etliche Jahre jünger als ihr Bruder, zählte hier nicht mit. Sie heiratete früh, lebte jahrelang im Ausland und war auch jetzt selbständig. Eine Außenseiterin!) Vielleicht hatte Ulla während ihrer KL-Laufbahn Betten zuschanden geritten – viele, so behauptete der Leumund –, in Pferdesätteln war sie damals noch nicht groß gewesen. Heute besaßen die Eyckes Schlösser, Gestüte, Nobelwohnungen in Fulda und Hannover, einen Autopark wie Plutokraten. Herr von Eycke hatte sich einen Rennstall zugelegt, galt in der Sportfliegerei als As und flog natürlich seine eigene Maschine. Ulla war Elitereiterin und Fernsehliebling. Die Hüterin der Art, das Idol der Nation. Und dieses Idol, das ihm jetzt wieder entrückter denn je erschien, liebte er, Albin Totila Höllriegl, ein unbekannter Gefolgsmann des Führers, mit allen Fasern seines Herzens.
Während er dem Coburger mit halbem Ohr zuhörte, jagten alle möglichen Gedanken durch seinen Kopf, bis sie sich jedesmal an dem einen schmerzenden Punkt sammelten. Ulla! Es war nun unheimlich hell geworden. Vor ihnen lag Kelbra – und Kelbra brannte. Durch das Loch in der Scheibe drang beizender Rauch, der Wind trieb ganze Funkengarben vor sich her. Das MG-Geknatter war plötzlich verstummt, auch der große WH-Transport schien irgendwo abgebogen zu sein. Und die Heimkehrertrupps hatte der Erdboden verschluckt.
Höllriegl hielt den Wagen an. Eine knisternde Spannung lag in der Luft. Die Häusermauern von Kelbra lagen weiß unter dem niedrigen glosenden Himmel, sie hatten etwas Lauerndes – was verbarg sich dahinter? In der Stille hörte man einen Hund in langgezogenen Tönen jammern.
Durch die Ortschaft zu fahren, wäre Irrsinn. Der Coburger wußte einen Karrenweg, eine passable Umfahrung. Klar, daß Höllriegl den Mann nach Haus brachte. In solcher Nacht war Tuchfühlung mehr wert als alles andere. Sie tauschten die Plätze.
Glühendrot dehnte sich der Schienenstrang in die Ferne. An der Stelle, wo sie übersetzten, lag etwas Dunkles quer über den Schienen. Eine umgestürzte Draisine. Daneben, sonderbar flach, ein menschlicher Körper. Sie stiegen aus, um den Mann, er war der Uniform nach Eisenbahner, zu untersuchen. Nichts zu machen – Höllriegls zweiter Toter an diesem Abend. Als sie sich aufrichteten, krachten hinter ihnen schnelle Schüsse, und die Steine zu ihren Füßen splitterten. Sie warfen sich zu Boden und krochen zum Wagen zurück. Über ihren Köpfen zischte und pfiff es. Auch diese Situation kam Höüriegl bekannt vor.
Jenseits des Bahndamms tauchten sie in der Dunkelheit der Felder unter, der Damm schirmte das Licht ab. Der Coburger fuhr im Schritt, denn der Boden war weich, und der Weg ging hinauf und hinunter. Höüriegl hatte das Gewehr im Anschlag, aber nichts rührte sich hier draußen. Am Horizont erschienen in den Wolken da und dort brandige Inseln – vielleicht der Widerschein brennender Dörfer.
Hinter der Brauerei trennten sie sich. Der Coburger beschrieb Höllriegl den Weg und verschwand humpelnd in der Nacht. Er wohnte in einer Reihensiedlung, deren hochgiebelige Häuser aussahen, als wären sie einem Kinderbaukasten entnommen. Keine Seele zu sehen. Ein Alptraum. Aber Flucht wäre hier sinnlos gewesen, wohin sollten die Menschen? Sicher, der Coburger würde seine Familie wiederfinden.
Im Fond des Wagens hatte eine Rotkreuzfahne gelegen, die Höllriegl, den Aufenthalt nutzend, vorn am Wagen hißte. Senkpiehls Auto war zwar durch Lack
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