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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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durfte jeder Insasse des Auffanglagers (AL Ju 33) sich frei bewegen. Aber man sah so selten jemanden draußen, die meisten lagen in den Baracken auf ihren Pritschen, lasen oder dösten. Warteten. Warteten auf Befragungen, Untersuchungen, auf Impfungen. Wurde man zum Weiterflug zugelassen, wechselte man die Baracke. Wer hinüber kam, ins Lager beim Flugplatz, der hatte es geschafft.
    Wie lange war er schon hier? Er wußte es nicht – es gab keine Zeitrechnung. Im Anfang hatte er sich nach den Mahlzeiten gerichtet, doch die eine oder andere war ausgefallen, und so kam ihm alles durcheinander. Er sah, wie jenseits der Bergkuppe die Scheinwerfer aufflammten – die Startbahnbeleuchtung. Das war jedesmal nur ein kurzes Vergnügen, auf der Insel herrschte sonst strengste Verdunkelung. Gleich darauf röhrten die Düsen, ein Transport flog ab. Von hier aus konnte man den Abflug nicht beobachten, aber Jugurtha blieb abwartend stehen, die Stiefel aneinander schlagend. Er sah nur noch die Bordlichter der Superschweren Maschine einige Male aufblitzen. Die Scheinwerfer erloschen, und auch das Getöse verebbte. Nacht, Nacht und Nebel.
    Zum soundso vielten Mal stapfte er um die innere Einfriedung. Die Wachen waren wie schwarze Standbilder. Warum die vielen Wachen und der Stacheldraht? Wozu die Totschläger, die Flammenwerfer, die Nebelgeräte, die Laser-Waffen und Bluthunde? Er glaubte, fürchtete, es zu wissen. Diese endgültige Auslese ging nicht immer glatt vonstatten; alle wollten ins Rettungsboot, doch das letzte Wort hatten die Ärzte und Beauftragten des Rassehauptamtes – einzig die politisch auserwählten, völlig erbgesunden, kräftigsten, rassisch lupenreinsten Volksgenossen sollten eine Chance zum Überleben haben, wobei auch Alter, Potenz, Wehrgeistigkeit, Rang und entsprechende Bewährung an der weltanschaulichen Front für die Auslese maßgeblich waren. (Dieses Auswahlprinzip fand er gut und richtig; ähnliche Untersuchungen, vielleicht in minder rücksichtsloser Form, hatte er dann und wann durchstehen müssen.) Die Insel glich einer Festung. Das Wachenaufgebot rekrutierte sich, wie man vom Kragenspiegel der Männer ablesen konnte, aus Totenkopfverbänden, Stuba „Viking“ und „Vidkun Quisling“. Also bestes Nordland-Material. Sogar Profose gab es hier – was für eine altertümliche Einrichtung! Die Leute sprachen gebrochen Deutsch, waren jedoch auf Schweigsamkeit gedrillt. Irgendwo hatte er aufgeschnappt, daß nur die Lagerleitung, Ärzte inbegriffen, aus deutscher SS bestand.
    Eine weitere Frage: Warum die blöden Decknamen? Wer hier im AL ankam, mußte gleichsam sein früheres Leben ausklammern, mußte von vorn beginnen. Gut. Aber mit dem Namen legte man ja nicht das bisherige Leben ab, es ging weiter – in tausend Dingen, vor allem in der Erinnerung. Hatten die Tarnnamen irgendeine praktische Bedeutung, oder war der Namenswechsel rein symbolisch gemeint? War es eine der vielen Schikanen, eine mutwillige Erschwernis? Die Eyckes hatten ihn, Höllriegl, sogleich nach der Ankunft einfach unter „Jugurtha“ registrieren lassen, Beruf: Heilbehandler und Schriftleiter (das hatte er wohlweislich selbst angegeben). Seine sämtlichen Papiere, Wehrpaß, Parteibuch, Rasseausweis, I-Karte und so fort, lauteten auf Höllriegl; der hiesigen Behörde mußte demnach sein bürgerlicher Name bekannt sein, denn die Papiere lagen in der Befehlsstelle. Bekam er, wenn er „zugelassen“ war, neue Papiere? (Auf Jugurtha lautend? Jugurtha war mehr als läppisch.) Irgendwie erinnerte das Spiel mit den Decknamen an die Runenschrift, mit der der Verfasser jener schicksalhaften Botschaft den Wortsinn noch weiter verschlüsselt hatte. Das Leben im Tausendjährigen Reich der Deutschen war voll solcher Ornamente.
    Im Lager verhielt sich jedermann zugeknöpft. Man wartete, bis man drankam, darüber konnten nun freilich nicht viele Worte verloren werden, es schien aber auch Vorsicht geboten. Seine zwei Schlafgenossen zum Beispiel – welch wortkarge Gesellschaft! Der eine war ein Gestütmeister aus Trakehnen, das hatte in der Zimmerliste gestanden (Name: „Bütefisch“), der andre ein typischer Goldfasan (Name: „Wolfskehl“), Generalarbeitsführer, natürlich in Zivil, und zugleich großes Tier in der Reichswaltung der DAF, Amt Werkschar und Schulung. Sie besprachen nur das Allernötigste mit ihm, zueinander aber gaben sie sich vertrauter, spielten Schach oder Mühle. Auch wechselten sie hinter dem Rücken des Ostmärkers –

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