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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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Pendel an sich genommen hatte, eintreten.
    Jene Wüstenhitze, die ihm schon zuvor auf die Nerven gegangen war, schlug ihm gleich einer Brandung entgegen. Die Luft war außerordentlich trocken und hatte den Geruch von Ozon. Höllriegl spürte in dem Augenblick, da er die Schwelle überschritt, die Nähe von Krankheit und Tod. Ein Sterbezimmer, das war klar.
    Man konnte nicht allzuviel sehen; das aber, was man sah, machte den Eindruck des Weiblichen, ja Weibischen. Auch hier war alles in dumpfem, eingesunkenem Gelb gehalten. Wolkenstores vor den Fenstern. Auf einem geschwungen gebauten, niedrigen Bett, das wie eine flache schwarze Muschel aussah – darüber ein Betthimmel –, lag ein Mann, besser: ein Herr mit geschlossenen Augen. Ein silberner Leuchter spendete ruhiges Licht. Die Kerzen – Höllriegl zählte sieben Stück – waren schon herabgebrannt.
    Der Kopf des Herrn ruhte anmutig auf dem Pfühl auf, seine Hände, die aus Spitzenmanschetten lugten, glitten zuckend über das Laken. Trotz der Wärme war ein Federbett über den Unterkörper des Kranken gebreitet worden. Des Mannes Atem ging schnell.
    Höllriegl staunte über die Schönheit des Sterbenden. Ein falbes Antlitz von römischem Schnitt, gemmenhafter Schärfe, mit dunkelgrünen Schatten um Augen und Mund. Die Hände waren von geradezu überirdischer Schönheit. Wäre nicht der orientalische Zug gewesen, der sich in dem Gesicht vordrängte, so hätte man an einen Augustus denken können, dessen letzte Stunde gekommen war. Die hohe, schmale Stirn umrahmte schwarzes, glattes Haar. Trotzdem: es war ein Greis, der da vor ihm lag.
    Hier kam seine Kunst, kam jede Kunst zu spät. Wozu hatte man ihn herbemüht? Was würde es nützen, wenn er den Einfluß von Erdstrahlen feststellte? (Daß das Bett in einer schlimmen Zone stand, war mit Händen zu greifen.) Der Odem des Todes erfüllte das Zimmer, war stetig und stark. Höllriegl wunderte sich, daß die Kerzenflammen nicht flackerten.
    Langsam öffnete der majestätische Herr die Augen und blickte Höllriegl lange und wie aus weiter Ferne an. In dem Blick lag Trauer. Dann winkte der Herr ihn zu sich heran. Höllriegl setzte sich auf einen Hocker, und sogleich begann der Kranke rasch und lispelnd zu sprechen, doch die Mundbewegungen zerstörten im Nu die Harmonie des edlen Gesichts, sie verwandelten es in eine Grimasse, in eine Unzahl von Grimassen. Höllriegl erkannte blitzartig, daß es Äffisches war, das sich dieses Gesichts bemächtigt hatte. Hier starb kein Angehöriger der Herrenrasse, sondern ein Äffling, ein Tschandale.
    Der Mann sprach so leise, daß Höllriegl nahe zu ihm heranrücken mußte. Die Artikulation war scharf und zischelnd wie die eines sprechenden Papageis. Das Gesicht etwas abgewendet, schien der Sterbende damit sagen zu wollen: Ich habe einen üblen Atem.
    „– – – hat geheißen Hersch Glasel und is gewesen Thora-Schrajber“, verstand Höllriegl, „ich besuchte die Schul in … (es klang wie Rustschuk), und noch heut schüttelt mich der Ekel, wenn ich an meine Glaubensgenossen denk, die mit mir die Schulbank gedrückt haben. Sie haben alle entsetzlich nach Knofel und Schweißfießen gestunken und nach knoflicher, schweißiger Gelehrsamkeit. Diese stinkende Büffelei aus der Ordnung Seraim, aus der Ordnung Naschim, aus der Ordnung Nesikin! Wer zwohundert Zuz besitzt, der nehme weder Nachlese noch Vergessenes, noch Armenzehnt … Wer fuffzich Zuz besitzt und damit Handel treibt, der nehme nicht … Und so weiter. Achtung, ich wer gleich schpajben! Auch die Töchter Israels, denen wir unter die Röcke gegriffen haben, haben gestunken nach Knofel … Firnemiich is Knoblich vermeg inseres Talmud ein gesind Essen … zu fünferlei Sachen is Knoblich gesind, sonderlich den Jieden … Später hab ichs gewußt: dieser Gestank is nicht gewesen Knofel, er is gewesen die Ausdienstung von rassisch Minderwertigen – – –“
    Höllriegl erstarrte. Der Äffling war – ein Jud! Wie lange schon hatte er keinen Juden mehr gesehen! Weder weiße noch schwarze Juden gab es mehr, sie hatten längst zu bestehen aufgehört. Der „Jud“ war zu einem Begriff der Ontogenie, zu einem geschichtlichen, abstrakten Wort geworden, Juden gab es nur noch in ausgestopftem Zustand in den naturhistorischen Museen, wo man sie als eine vom eigentlichen Menschenstamm abgespaltete Entartungsfrucht von Hominiden zur Schau stellte, als tierdämonischen Typ, den die Menschheit auf ihrem Weg zu leibseelischer

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