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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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angetan. Sie war unzweifelhaft eine Frau von ganz alter Rasse, eine echte von Eycke. Und er? Was war er? Eine Promenadenmischung.
    Als sie sich trennten, versprach er, sie „sofort“ wieder anzurufen. „Heute abend bin ich vergeben“, sagte sie, „aber morgen … vielleicht …“ Ihr Blick lief wieder, wonnige Spuren hinterlassend, über seinen Körper. „Als braver Ostmärker haben Sie natürlich den Heldennamen eines Ostgotenkönigs gewählt – nur geht es bei der Eroberung Roms manchmal nicht ohne blaues Auge ab. Totila ist eigentlich ein Kneipname; mein Vater, sein Korps waren die Wormser ‚Schwarzen Germanen’, nannte sich so auf dem Paukboden.“ Und nach einer Weile mit doppelsinnigem Tonfall: „Sie sollten Moldwerf heißen, Maulwurf …“
    Die gepflegte Kinderhand ruhte feinknochig, fast knochenlos, m seiner begehrlichen Männerpranke; zuckte, als er sie, diesmal nicht angedeutet, küßte.
     
    Es war so trübe wie zuvor, ein ewig dunkler Novembertag. Gegenüber dem Haus Tiergartenstraße vier arbeitete der grau uniformierte Einsatztrupp an dem Transparent. Höllriegl kontrollierte die Zeit und betrat das Gebäude, seine Schritte waren zackig wie immer. Die Ziersäulen der Außenfront setzten sich nach hinten fort.
    In der Portierloge, die nun ein Wachlokal war und einem kleinen Heerlager glich, nannte er seinen Namen und den seines Kontaktmannes. Er bekam einen Passierschein mit aufgestempelter Zeit. Das Haus wimmelte von Uniformierten. Auf jedem Treppenabsatz standen Wachen wie schwarze Statuen, lange Kerls, den leeren Blick ins Leere gerichtet.
    Ostuf Hirnchristl, ein käsegesichtiger, dünner Mensch mit schütterem Haarwuchs, blondem Schnurrbärtchen und fliehendem Kinn, warf einen Blick auf den Passierschein, dann begrüßte er den engeren Landsmann lebhaft. „Fesch, daß da san!“ Er war sofort „im Bild“.
    „Ja, Ihre Pendlerei soll heut am Abend stattfinden, wir wern Sie um sechse abholn. Sie wohnen [Blick auf den Passierschein] in der Pension der Frau Zweenemann am Uhland-Eck. Hoffe, daß Ihnen nix ausmacht, wenns in an Grünen Heini fahrn. Sie dürfn nämlich nicht wissen, wohin die Fahrt geht. Befehl!“
    Hirnchristl sprang hinter dem festungsartigen Schreibtisch wie ein Gummiball hin und her, dabei mit den Armen unablässig fuchtelnde Bewegungen machend, als sei er ein Verkehrspolizist an einer belebten Kreuzung. Auf dem Tisch vor ihm standen drei Telefone, ein rotes, ein schwarzes, ein weißes; sie klingelten abwechselnd. Gespräche mit diesem „Landsmann“ waren wohl nur im Telegrammstil oder bruchstückweise zu führen.
    Das Amtszimmer enthielt einen runden Tisch, zwei Lederfauteuils und ein Sofa. Hirnchristl gegenüber, an der Schreibmaschine, saß ein ältliches Wesen mit vorgeschriebener Knüzchenfrisur. Ein Büroraum wie tausend andere. Auch das kalte Neonlicht, das Führerbild mit dem Trauerflor und ein paar Blattpflanzen, letztere Ergebnis des DAF-Befehls „Schafft sonnige Arbeitsstätten“, gehörten dazu. An der Wand in klobiger Wehrmachtgotik der vertraute Spruch „DIE PARTEI DENKT FÜR DICH“ (er hatte das Schlagwort der NSV „Die Partei sorgt für dich“ längst verdrängt).
    „Wanns mit der Pendlerei fertig sind, brauchen Sie sich nicht mehr persönlich herbemühn – rufns mich einfach vor der Nachhausfahrt an, und i gib die Meldung höhern Orts weiter.“ Nach einer Telefonierpause: „Wir hättn nur no an Patienten für Sie … Is Ihnen der Name Gundlfinger ein Begriff? I mein den Philosophen oder was er is – – – Awa leck-mimoasch!“ Das Götzzitat, selbstverständlich gemurmelt, bezog sich auf ein Klingeln des roten Apparats. Ungeachtet des Kraftausdrucks benahm sich der Obersturmführer sofort äußerst zackig und dienstlich; im Nu hatte er seine zwanglose Art abgelegt. „Jawöllja! … Wird gemacht! … Dreckige Himmelfahrt, hahahaha! … Jawöll!“ Und so fort.
    Wieder zu Höllriegl gewendet: „Kennens den Gundlfinger?“
    Höllriegl bejahte. Natürlich kannte er den Namen. Erst unlängst hatte er in einem Schulungsheft für Amtswalter eine auszugsweise veröffentlichte Abhandlung des großen Mannes gelesen, er erinnerte sich jetzt genau. Wie hatte der Titel gelautet? „Über die Humanität des KL-Strafvollzugs“ oder so ähnlich.
    „Bei diesem Professor Gundlfinger sollns aa a bißl pendeln. Ein Herr [Hirnchristl schaute in seinem Vormerkkalender nach] von Schwerdtfeger, hohes Viech in der Reichsschrifttumkammer, hat Sie dorthin

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