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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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hätte ein hellhöriger Berliner sagen können, in welche Richtung die Reise ging. Höllriegl kannte aber das Berliner Pflaster zuwenig, auch nach den Straßengeräuschen konnte er sich nicht orientieren. Zweimal hörte er Züge der S-Bahn über Viadukte donnern. Dann wurde es draußen stiller, nur der eigene Motor war zu hören. Durch die Schlitze drang frische, kalte Luft herein. Sie roch würzig – oder kam es ihm nur so vor?
    Der Wagen fuhr langsam über einen spürbar kurvenreichen Weg. Dann hielt er. Die Tür flog auf, und der Wächter stieg, grell angestrahlt, ins Kupee. „Ich habe Auftrag, Ihnen die Augen zu verbinden“, sagte der Mann und tat es. Er half Höllriegl beim Aussteigen, legte dann dessen rechte Hand auf seine Schulter und ging mit kleinen Schritten voran. Durch die Binde drang Licht.
    „Achtung – Stufen!“
    So gingen sie eine Weile, der Mann dirigierte mit sparsamen Sätzen. Wüstenhaft trockene Hitze schlug ihm entgegen, wieder sickerte Licht, diesmal schwächeres, durch die Binde. Nachdem sie eine knarrende Holztreppe emporgestiegen und durch mehrere Zimmer – oder Säle – gegangen waren, machte der Wächter halt.
    „Hier bleiben Sie!“, sagte er etwas barsch und nahm Höllriegl die Binde von den Augen. „Sie werden abgeholt.“ Er verschwand.
    Höllriegl befand sich in einem hohen, saalartigen Gemach mit dicht verhängten Fenstern. Die gelblichen Vorhänge aus irgendeinem schweren Material sahen aus wie Wachs. Der Raum erstrahlte dunkel in Gelb und Gold. Ein Kandelaber (war er aus Ebenholz?) verbreitete diffuses Licht. Die Umrisse von barocken, sichtlich kostbaren Möbeln traten aus dem Halbdunkel. Alles war mehr zu ahnen als zu sehen. Von den Bildern an den Wänden ging ein seltsamer Glanz aus.
    Noch immer stand Höllriegl dort, wo der Wächter ihn hingestellt hatte. Mit äußerster Sorgfalt musterte er jeden Winkel des Zimmers. Er witterte Gefahr. Wo war er? Hier konnte man ihn leicht beobachten, es gab Vorhänge, und die Bilder konnten Sehschlitze sein. Er nahm absichtlich eine ungezwungene Haltung an und entspannte die Gesichtsmuskeln. Rute und Pendel legte er auf ein Tischchen und wanderte lässig, doch jederzeit bereit, in Deckung zu gehen, durchs Zimmer. War er in eine Falle geraten?
    Sonderbar, die Bilder in ihren verschnörkelten Rahmen leuchteten auch in den abgedunkelten Nischen. Er ging näher hin, sein Befremden wuchs. Sie waren in raffinierter Weise von innenher erleuchtet, stellten samt und sonders Reptilien dar, Tiere von phantastischer Gestalt und unüberbietbarer Scheußlichkeit. Manche standen halb aufgerichtet auf den Hinterbeinen, andere wieder liefen auf allen vieren. Ihre Klauen und Zähne sahen wie lange Dolche aus, die krötenähnlichen, stachelbewehrten Köpfe waren eine Agonie. Alle diese Echsen hatten einen erschreckend altertümlichen Habitus, in dem flirrenden Licht schienen sie zu kriechen, ihre Häupter zu bewegen. Die Bilder (oder Diapositive) waren beschriftet. „Varanosaurus aus dem Perm von Texas“ stand unter einem, „Seymouria, Oberkarbon“ unter einem andern. Ein molchartiges Wesen mit tückisch glotzenden Augen und scharf gezähnten Kiefern hieß „Baphetes“ und war als „Stegokephales Amphibium, Oldred, Canada“ gekennzeichnet. Es gab auch krokodilähnliches Getier, das mit gespreiteten Flughäuten über fremdartigem Buschwerk zu kreisen schien. Höllriegl ging von Bild zu Bild – die Darstellungen waren zierlich gerahmt, als handle es sich um amouröse Szenen aus dem Rokoko – und betrachtete mit leichtem Schauder die Sammlung. War er in einem naturhistorischen Kabinett? War der Hausherr, wer immer es sein mochte, ein Liebhaber von ausgestorbenen Bestien, war er Urweltforscher?
    Höllriegls Unruhe wuchs. Wo befand er sich? Mit einem Sprung erreichte er das nächstgelegene Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Entsetzt prallte er zurück, als gleißend bläuliches Licht in seine Augen stach. Das Gebäude schien überall von Scheinwerfern angestrahlt zu werden. Geblendet tastete er sich zu dem Tischchen hin, auf dem seine Geräte lagen. Er vermeinte, die Silhouette von Baumwipfeln gesehen zu haben.
    Weil halbblind, hatte er nicht bemerkt, daß jemand ins Zimmer gekommen war. Der Mann rührte sich nicht. Erst als Höllriegl mit ihm fast zusammengestoßen wäre, machte er eine feierliche Verbeugung, schob im Hintergrund eine Portière weg, öffnete die dahinter verborgen gewesene Tapetentür und ließ Höllriegl, der Rute und

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