Wenn das der Führer wüßte
hohlwangig, der kleine Mund eingefallen, so als fehlten die Zähne. Die Gesichtshaut war gelblich, ledrig, künstlich gebräunt, das Haar dünn, schütter, farblos und weit aus der Stirn zurückgewichen. Der Mann trug Röhrenstiefel und eine einfache, schwarze, ziemlich schlecht sitzende SS -Uniform ohne jedes Rangabzeichen. Sein Gehaben war zwar militärisch, aber ohne die übliche Zackigkeit. Ein Wald von emporgereckten Armen schnellte ihm entgegen, die Köpfe der Reichsedlen und Hauskarle drehten sich, als er rasch und mit hocherhobener Rechten durch das Spalier der Mannen auf den Hochsitz zuschritt. Er hatte eine Mappe unterm Arm. Höllriegl sah mit Befremden, ja mit dem Gefühl, als berühre er etwas Gefährliches und dabei Ekles, daß die schwarzen Recken ihre Laser in Anschlag gebracht hatten.
Plötzlich jauchzte eine Jünglingsstimme auf, und es war ein heller, rasender Schrei, der sich da erhob und sich vielfach in den Wölbungen der Halle brach: „Heil Köpfler!“ Mit brausenden, nicht endenwollenden Heilrufen stimmte die Gefolgschaft des Reichsrats ein, der Saal erbebte in seinen Grundfesten, und aus dem Chaos wilder, ekstatischer Schreie formte sich ein Massenchor, der taktmäßig „Köpf – ler! Köpf – ler! Köpf – ler! Köpf – ler!“ brüllte. Der schmächtige Mann schien sich um das Getobe nicht zu kümmern. Lange verharrte er vor der umflorten Führerstandarte in stiller Trauer. Dann nahm er auf dem Hochsitz Platz, und sofort schwenkte der mit Fernsehkameras gespickte Kran an ihn heran und brachte in blitzschnell wechselnden Aufnahmen seine Person, das Gesicht, die billig aussehende Plastikmappe (sie war abgetragen) ins Bild. Die Stellung, die Köpfler auf dem Hochsitz einnahm, war eigenartig; es sah aus, als wollte er jeden Augenblick aufspringen.
Wer war dieser Mann? Alle kannten seinen hohen Rang, seine Verdienste, seine Schlüsselstellung in der Partei; man wußte auch, daß er zu den treuesten Paladinen des Führers gehört hatte. Woher, aus welcher Versenkung er einst gekommen war, hätte niemand mit Sicherheit zu sagen gewußt. Es hieß, er stamme aus Kroatien, worauf auch sein Vorname Ivo deute, und wäre in den „Jahren der Ehrlosigkeit“ (gemeint ist die Zeit nach Versailles) als arbeitsloser Buchhalter zur Bewegung gestoßen. Bereits im Range eines SA-Standartenführers habe er aktiv an der Röhm-Revolte teilgenommen, sei aber, statt sofort erschossen zu werden, mit anderen Mitverschworenen von einem Sondertribunal des SA-Gerichtsamtes zum Tod durch Enthaupten verurteilt worden – im Gefängnis habe er dann den Namen Köpfler angenommen, den Spitznamen der Fallbeilkandidaten. In letzter Minute, Köpfler hatte bereits das Papierhemd angehabt, wäre ihm eine wundersame Errettung zuteil geworden: aus unbekannten und unerfindlichen Gründen wurde er vom damaligen Stabschef der SA – es war Lutze – aus der Haft befreit und dem Führer „zur besonderen Verwendung“ überstellt. Ivo Köpflers weiterer Lebensweg – er war inzwischen zur SS hinübergewechselt – lag im dunkeln. Erst im Fronteinsatz, als Initiator des bekannten, gegen die jugoslawischen Guerillas gerichteten „Unternehmens Waldteufel“, machte er wieder von sich reden. Diesen Kleinkrieg führte er mit solchem Fanatismus und so vorbildlicher Grausamkeit, daß fortan sein Name ein fast legendärer Begriff war, insbesondere unter den Werwolfkadern. Doch bald tauchte Köpfler wieder im Zwielicht unter. Man sagte von ihm, er wäre einer der Stillen im Land, und in der Parteispitze nannte man ihn nur den „Spurenverwischer“. Im Volksmund aber lebte er unter dem Namen „Waldteufel“ weiter, auch schätzte man seinen asischen Zunamen „Schreckenshelm“ (der „Oegishialmr“ der Eddalieder). Zuletzt hatte er, noch unter Martin Bormann und als dessen Stabsleiter und engster Vertrauter, an der Liquidation des Amtes des Stellvertreters des Führers mitgearbeitet und war – wir haben es bereits erwähnt – nach Bormanns Ableben zum allmächtigen Reichsleiter, Chef der Reichskanzlei und Reichsminister aufgestiegen. Bis jetzt die schnellste und steilste Karriere im Tausendjährigen Reich der Deutschen!
Das fuhr Höllriegl durch den Kopf, als er – wie die anderen Pensionsgäste – mit erhobener Rechten vor dem Bildschirm strammstand. Langsam legte sich der Begeisterungstaumel im Metsaal des Reichsrats, aber einzelne Schreie gellten noch immer zackig durch die Halle. Man sah, daß Köpfler ein Tonband aus der
Weitere Kostenlose Bücher