Wenn das der Führer wüßte
und sonders wie Provinzonkel aus (und waren es wohl auch), die Damen wie Angestellte von Mutterberatungsstellen. Alle machten besorgte, abweisende Mienen, die meisten trugen Nationaltrauer. Höllriegl, der seine Uniform anhatte, war der einzige Farbfleck in dem Schwarz und Grau dieser Menschen mit den übermüdeten Gesichtern.
Auf dem bläulich wabernden Fernsehschirm – das Gerät stand auf einem Postament unter dem mit schwarzem Flor drapierten Führerbild – erschienen Bildausschnitte aus dem Reichsrat, von einem unablässig und gedämpft redenden Sprecher kommentiert. Das Kamera-Auge tastete, wie üblich, die riesige Gefolgschaftshalle ab; sie hatte die Form eines altgermanischen Metsaales und war mit Schilden, Hörnern, strohernen Glücksrädern und den historischen Standarten der nationalen Erhebung geschmückt. Hier waren in den letzten Jahren die größten Entscheidungen der Geschichte gefallen – die Halle selbst war Vorbild für Abertausende Gemeinschaftshallen in der Weltweite des Großgermanischen Reiches. Der Anblick begeisterte Höllriegl stets aufs neue. In diesem Saal wurde die Vergangenheit einer großen Nation lebendig, das Adelige, die Tradition der Haltung und des Geistes, der ewigen Vorbilder, der hohen Ahnen.
Die Sitzordnung der Reichsräte war streng. Nach Rang und Namen waren die Männer von den Toren nach dem Hochsitz hingeordnet, wie es die Überlieferung vorschrieb. In Tornähe saßen die niedrigeren, in Hochsitznähe die höheren und höchsten Ränge. Die Kamera brachte in Schwebeaufnahmen und kühnen Schwenkungen den einen oder andern der Reichsedlen ins Bild. Der Hochsitz war noch leer. Über ihm das mit dem Hoheitszeichen verhüllte Bild des Führers, darüber in Gold der Reichsadler. Eine Zweimannwache, wie aus schwarzem Erz, stand dort, die verwaiste Führerstandarte in Händen. Einen ungewohnten Anblick boten die vielen SS -Männer, sie trugen ihre Laser-Pistolen umgehängt, die wie optische Instrumente aussahen. Die Waffenträger waren hinter den Bänken der Hauskarle postiert – unbewegte Idole einer Macht, wie sie auf Erden noch nie erschienen war.
Wenn der Sprecher eine Atempause machte, hörte man nur Räuspern und das Knarren der Bänke. Niemand wagte ein Wort, alles wartete mit zurückgestauter Erregung auf das, was kommen würde. Der Blutadel des Germanischen Weltreichs, die „fylgd“, auch „hird“ genannt, war versammelt; einen erkrankten Gefolgsmann hatte man sogar auf der Tragbahre hereingebracht. Soeben nahmen die Reichsräte – sie waren, wie jedermann bemerken konnte, nicht vollzählig – auf den Bänken rund um den Hochsitz des Führers die Plätze ein, um, wie der Kommentator mit vor Ehrfurcht ersterbender Stimme erklärte, eine Botschaft entgegenzunehmen, die bestimmend sein würde für die weiteren Geschicke der Menschheit. An die Übertragung angeschlossen waren alle großen Netzwerke der Welt, Richtstrahler und Relaisketten übermittelten Wort und Bild in die entlegensten Gebiete. Um zu zeigen, daß der Sitzung globale Bedeutung zukäme, wurden Ausschnitte von gleichzeitig stattfindenden Großkundgebungen in Rom, Madrid, Paris, Neu-London, Corpus Christi, Buenos Aires, Pretoria in den Saal hineingespiegelt und in die Sendung eingeblendet. Man sah geschichtliche Größen, wie den Führer des Bretonischen Freistaates Déat und den greisen Laval, Vidkun Quisling, General Wlassow und Sir Oswald Mosley, den Kanzler von Burgund Léon Degrelle, den Caudillo, Mussolinis Nachfolger Vinciguerra und den Vorsitzenden des Dreierrates der Kukluxer, Senator Brad „Gusto“ Fazlollah, vor der Kamera posieren. Es wurden auch Ausschnitte von einem Appell im Weiheraum der Wewelsburg bei Paderborn gezeigt, wo der Reichsverweser für die Westgebiete Opferkuch seine Vasallen aufgeboten hatte. Ein malerisches Bild bot der Osten; so erschienen Szenen aus einer Versammlung der Reichsfronvögte im Kreml und von einem unter freiem Himmel abgehaltenen Aufgebot, das der Jessaul Pschischtsche, oberster Ataman der Autonomen Kosakenherrschaften am Kuban, in der Hauptstadt Mazeppa einberufen hatte, wobei ganze Sotnien im Scheinwerferlicht an dem Jessaul vorübergaloppierten.
Als die Luren ertönten – es war eine bis dahin noch nie gehörte Intrada –, wandten sich aller Augen dem großen Hallentor gegenüber dem Hochsitz zu. Jupitersonnen flammten auf. Im selben Augenblick betrat ein schmächtiger Mann unbestimmbaren Alters den Saal, er hatte keine Suite. Er war bartlos und
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