Wenn das der Führer wüßte
wichtigen Staatsakten der Vergangenheit oder Arm in Arm mit ihm bei Spaziergängen. Eine suggestive erste Seite hatte die Kontinentalausgabe des „Völkischen Beobachters“ vom Dienstag (Morgenblatt); Höllriegl las sie mit Ergriffenheit in einem der Presseschaukästen der NSDAP. Sie zeigte in Riesenlettern das einem pythischen Triumphgesang des Pindaros nachgebildete, „An Adolf Hitler in den Sternen“ überschriebene Gedicht aus der Feder des dreifachen Nationalpreisträgers Edwin Erwein Zwinger, in dem zum Schluß unverhohlen auf Köpfler als den „gewaltigen Erben des Weltreichs“ angespielt wurde („… erhoben das wagende Haupt, auf das die Ruhmeskränze warten …“), umrahmt von Treuebezeigungen sämtlicher Mitglieder der Germanischen Akademie für Dichtung und Wahrheit in Weimar.
Neben solchen Geschehnissen erschien es fast belanglos, daß am Sonnabend früh, also noch vor Hitlers Todesstunde, ein neuer Kosmonautenflug, es war der 36. Mehrpersonenflug, vom Raketengelände Peenemünde aus unternommen worden war. Diesmal hatte man wieder Untermenschen gewählt, was darauf hindeutete, daß ein besonders gewagtes Experiment bevorstand. „WvB Baldur XXXVI“, diese Bezeichnung trug die Raumkapsel, hatte zuerst auch brav geantwortet, und ihre vier Insassen (man kannte nur deren UmL-Nummern) hatten alle Befehle, die ihnen von den Bodenstationen aus zugerufen wurden, prompt und klaglos ausgeführt. Doch plötzlich löste sich das Raumschiff aus der vorberechneten Kreisbahn und strebte mit zunehmender Geschwindigkeit aus dem Schwerefeld der Erde hinaus. Es begann, laut versteckten Berichten in den Dienstagblättern, zu schlingern und hierauf schneller und schneller um die eigene Achse zu rotieren, das Piepsen wurde immer schwächer. Eine Stunde lang hatte der Rundfunk Dienstag früh, statt des obligaten Morgenturnens, die Befehle von Peenemünde und das antwortende Röcheln der Kosmonauten übertragen. Es war bei Todesstrafe verboten, solche Abhärtungssendungen abzuschalten.
Nun verfolgten den Volksgenossen von allen Plakatwänden und Litfaßsäulen Köpflers fanatische Augen, die Multiplikation dieses Blicks war gigantisch. Über Nacht hatte man auch Reihenbilder von der Reichsratssitzung und dem nachfolgenden Gelage angeschlagen, ebenso das rote Fahndungsblatt der Staatspolizei, Unseld und Diebold betreffend. Höllriegl hatte keine Lust, schon jetzt in die Pension zurückzukehren, und so schlenderte er, verführerischen Gedanken nachhängend, weiter. Zerstreut überflog er im Vorbeigehen die Balkenlettern der Aufmacher in den Zeitungen, er war von Anselma zu sehr erfüllt. Eine bleiche Sonne, Mond am Tag, zeigte sich flüchtig hinter winterlichem Gewölk; es war kalt, in der Luft lag der Geruch von Schnee. An der Ecke Wilhelmstraße-Leipziger Straße, vor dem Eingang zum atomsicheren Tiefbunker, ragte einer jener Lautsprechertürme auf, die wie Menhire aussehen. Eben wurde der Mittagsbericht wiederholt. Ein paar Passanten blieben stehen und schauten ziellos in die Luft. Dann aber sahen sie einander an.
„– – – griffen Tiefflieger unbekannter Nationalität unsere Bergwerksanlagen in Little America an. Durch Bordwaffenbeschuß gingen neun Mann des antarktischen Einsatzes verloren. Der Sachschaden ist gering. – Im Weddell-Meer überflogen Aufklärer in großer Höhe einen Konvoi von Erztransportern. – In den Gewässern vor Kaiser-Wilhelms-Land wurden von Küstenwachtschiffen einige Kleinst-U-Boote des japanischen Nata-Typs gesichtet und unter Feuer genommen. – Verstärkungen für die im Ribbentrop-Sund stationierte Schutztruppe wurden aus Ushuaia, Punta Arenas und von den Falkland-Inseln in die Antarktis geflogen. – Im Raum von Juan Fernandez ist Sonntag das unter der Reichsflagge fahrende mexikanische Frachtmotorschiff ‚Tezcatlipoca’ von Düsenjägern ohne Hoheitszeichen beschossen worden. Brandmunition und Napalmbomben setzten das Schiff in Flammen, das binnen einer Stunde sank. Ein kleiner Teil der Besatzung, darunter drei Reichsangehörige, konnten sich nach Mas Afuera retten. – Das OKM-Südpazifik hat mit sofortiger Wirkung für die unter deutscher Flagge oder für deutsche Rechnung eingesetzte Küstenschiffahrt Geleitschutz zu Wasser und in der Luft angeordnet. Den Reedereien wurde bekanntgegeben, daß ab sofort die verschärften Konvoi-Bestimmungen für sämtliche Transporte der Versorgungsstufen I und II zwischen 5 Grad nördlicher und 55 Grad südlicher Breite in Geltung
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