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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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nicht mit Schrecken, im Gegenteil: er jubelte innerlich auf. Die große Entscheidung war nahe! Jetzt kam alles drauf an, wer schneller war – wer den ersten vernichtenden Schlag führte. Köpfler würde auf alle Fälle schneller sein und dem Reich auch über jene Gebiete, die zur Zeit noch die Japse kontrollierten, die Herrschaft sichern. Das wäre dann die totale, ungeteilte Weltherrschaft. Heil dem neuen Führer!
    Eines war sicher: er mußte sofort nach Heydrich zurück. Nur diesen einen Abend wollte er noch für sich haben, für sich und Anselma. Anselma, die Herrliche, Starke! Und Ulla? Wo mochte sie sein, was mochte sie tun? Daß er immer den Weibern verfiel! Die Bernsteinhexe war eine Unerreichbare, und sie würde es bleiben. Anselma aber – die war was Greifbares, Irdisches, man konnte sie betasten, in seinen Armen halten, küssen, vielleicht auch besitzen! Welche Wonne! Wilde Erregung packte ihn, wenn er an ihren Körper dachte.
    Sollte der Krieg sich den Reichsgrenzen nähern, und das konnte blitzschnell geschehen, so war es gut, in Heydrich zu sein. Vielleicht wartete schon die Einberufung, auch die Partei würde ihn brauchen. In der Stunde der Bewährung mußte jeder seinen Mann stellen.
    Klar, er wollte die Route über den Harz nehmen. Sauckelruh ob Rundstedt, Villa Walpurgis. Alles war notiert, auch des Professors Telefonnummer. Der kleine Umweg konnte nicht schaden. Allerdings: im Marschbefehl war die Route, auch der Rückweg, genau angegeben. Höllriegl zögerte – hielt den Wagen an. Dann tat er etwas, an das er sich in den nächsten Tagen noch oft erinnerte und immer mit einem unangenehmen Gefühl. An Hand der Straßenkarte änderte er die maschingeschriebene Eintragung ab und machte eine unleserliche Kraxen dazu. Die Sperrgebiete kannte er genau, er würde sie umfahren. Außerdem durfte er B und D passieren; C wahrscheinlich auch, obwohl diese Zone – vielleicht irrtümlich – weggelassen worden war.
    In der Pension überflog er zuerst seinen Bericht. Eine ordentliche Sache das. Mitten im Lesen klopfte es. Frau Zweenemann, die seinem fragenden Blick ausgewichen war, als er sie an der Tür begrüßt hatte, sagte draußen: „Heute abend ist totale Verdunkelung. Taschenlampen für die Gäste liegen im Vorzimmer.“
    Höllriegl suchte Hirnchristls Zettel heraus und wählte die Nummer. Er war neugierig und etwas nervös. Gundlfinger, diese Berühmtheit, sein Kunde! Es ergab sich, daß er nur bis Sauckelruh durchwählen konnte; das Postfräulein, es sprach mit fremdartigem Akzent (wohl eine Auslandsdeutsche), sagte was von Störung, er würde aber die Verbindung mit Villa Walpurgis sogleich bekommen. Pause. Höllriegl wartete auf das gewisse Knacksen, das Zeichen, daß die DHW, die Deutsche Hörwacht, sich eingeschaltet hatte. Er lauschte angestrengt. Nichts. (Viele Volksgenossen, auch er, schalteten die DHW meist freiwillig ein – dafür gab es eine eigene reichseinheitliche Rufnummer –, eingedenk des Parteispruchs „Freund hört mit“ und des Spottworts „Die Partei hat lange Ohren“.) Kein Knacksen. Glücksfall, Zufall. Oder war das verdächtige Geräusch beseitigt worden? Nach einer Weile ertönte das übliche leise Tuten, die Verbindung war hergestellt.
    Eine helle Stimme: „Wer ist am Fernmund?“
    Höllriegl nannte Dienstgrad und Namen. Kurz schilderte er den Zweck seines Anrufs.
    „Ja, warten Sie bitte – bleiben Sie am Pörneit.“
    O weh, man sprach dort Mutterdeutsch, da hieß es aufpassen. Nach einigen Minuten wieder die helle, reine Stimme: „Der Inarteram läßt sagen, die Sache sei ihm gänsixer, er habe nie Auftrag gegeben, hier zu oblingen … Bitte, warten Sie einen Sanis oder zwei – – – .“
    Höllriegl freute sich über diese Stimme, die einem Kind oder einer ganz jungen Frau gehören mochte. Die Beklommenheit von vorhin war gewichen.
    Gänsixer – an das Wort erinnerte er sich gut. Er hatte es wiederholt in den Schulungsbriefen der „Odischen Lohe“ gelesen, wo es auch eine Unterrichtsecke für Mutterdeutsch gab, eine nach Lautstand, Inhalt und Sinnbildern aus germanischen und mundartlichen Wurzeln gebildete Hochsprache, deren Anhänger, wahre Fanatiker, die immer unanschaulicher und dürrer werdende, genormte Verwaltungssprache des Dritten Reiches, das sogenannte „Kummerdeutsch“, bekämpften – mit wenig Aussicht, sich je durchzusetzen, denn in Parteikreisen wurde über die Sektierer gelächelt. „Gänsixer“ hieß soviel wie „mysteriös“, hatte

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