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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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AMR aufzumachen. Und Asien? Insulinde können wir schon jetzt abschreiben, und in Tibet drehen sich die Gebetsmühlen ausschließlich für den Sieg der japanischen Sache.“
    Sie beugte sich ganz nahe zu ihm und flüsterte, indem sie ihn mit starren Augen ansah (er sog ihren Atem ein): „Die Zeit des Dahindämmerns ist vorüber! Ist Ihnen bekannt, daß elf der neuen Minister aus dem Werwolf kommen? Endlich! Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen, aufgeräumt, entrümpelt! Ich erwarte, daß auch Sie aufs richtige Pferd setzen …“
    Anselma hatte in beschwörendem Ton gesprochen, wegen des Lärms waren ihre Worte nur schwer verständlich. Mit solchem Freimut gab sie sich in seine Hand – wollte sie das? Ihre Augen glühten wie trübe Lichter, der Blick hatte etwas Blindes, Unmenschliches. Wolfslichter! Solche Augen hatte er schon gesehen, immer wieder. Es war der Blick der jungen Werwölfe. Es war der Schlangenblick des NATMAT. Es war der Blick der neuen Ketzer, der Todesverächter, der Todsüchtigen.
    Betroffen sagte er: „Anselma – wahrscheinlich haben Sie mit allem recht, was Sie sagen. Doch es gehört nicht hierher. Ich kann jetzt an nichts andres denken als an Sie! Ich bin Ihr Sklave! Sie sind meine Göttin! Ich möchte vor Ihnen im Staub knien, Sie anschaun, Sie anbeten! – – –“
    „Phrasen, Phrasen, machen Sie sich doch nicht lächerlich! Wenn Sie mich einmal gehabt haben, vergessen Sie mich schnell, Sie Romantiker! Ich gefalle Ihnen, und Sie gefallen mir. Das ist wie ein Kontrakt, wie ein Geschäft. Ich spürte schon gestern, daß Sie mich wollen – zuerst waren Sie nur neugierig. Wir sind irgendwie aufeinander angewiesen. Ich verkaufe Ihnen mein Ding, und Sie verkaufen mir Ihres. Ein Warenaustausch, weiter nichts. Wir kommen zusammen, um es zu tun – eine Interessengemeinschaft. Was wollen Sie da mit Ihrer komischen Liebe? – – – Ich muß gehen, sollte schon oben sein.“
    „Anselma, warum sprechen Sie so? Sie wissen, daß das nicht wahr ist. Liebe ist – etwas Wirkliches, Edles! Ich fühle so viel für Sie! Sie sind herrlich, wunderbar! Liebe ist keine Handelsware, kein Tauschartikel. Wenn Sie sich mir schenken, verkaufen Sie sich doch nicht. Vielleicht ist das Ihre Einstellung bei anderen Männern, Sie haben wohl allerhand erlebt. An meine Liebe müssen Sie glauben! Natürlich will ich Sie! Ich begehre Sie mit Haut und Haar! Aber ich würde Sie nicht wollen, wenn ich Sie nicht lieben könnte. Ich verehre Sie, bewundere Sie! Ich weiß nicht, wieso ich das nicht schon damals gesehen habe – aber Sie waren so kühl, so sachlich! Und Ihr Bruder, die vielen Menschen – – –“
    Anselma hatte sich erhoben. Sie lächelte, es konnte ein glückliches oder ein nachsichtiges Lächeln sein. „Sehen wir uns heute abend? Ich werde mich freimachen können. Nur weiß ich nicht, wann ich loskomme. Bringen Sie bitte Ihre … Rute mit. Sollte ich noch nicht zu Hause sein, machen Sie sichs bequem. Ko Won, mein Diener, einfach Ko gerufen, wird Sie erwarten. Um sieben. Ists recht? Neuenburger Straße 38, fünf Treppen hoch, beim U-Bahnhof Hallesches Tor.“
    Schweigend gingen sie über den Hof, er begleitete sie bis zum Paternoster. Einen Moment lang waren sie in einem Seitengang allein. Anselma schmiegte sich impulsiv an ihn, die Knospen ihrer Brust zeichneten sich dabei plötzlich unter der schwarzen Seidenbluse scharf ab. Er wollte ihren Mund küssen, sie wehrte ab, er küßte ihre Hände, da kamen auch schon Leute. Sie sprang in den Aufzug, Höllriegl sah sie langsam nach oben entschweben, mit einem verzehrenden Blick umfing er ihre Gestalt.
     
    Während die Sonn- und Montagszeitungen noch ausschließlich Bilderserien über den Tod des greisen Führers gebracht hatten – man konnte Adolf Hitler auf den Gipfeln seines triumphalen Lebens sehen und im Gegensatz dazu den mit der Blutfahne vom November 23 bedeckten Leichnam, aufgebahrt im Arbeitszimmer auf dem Berghof, später in der Reichskanzlei –, trat dieses Ereignis nunmehr gegenüber der historischen Reichsratssitzung etwas zurück. Zwar waren noch immer die schwarzumrandeten Blätter voll von Adolf dem Großen (wie die Geschichtsschreiber den Unsterblichen schon jetzt nannten) und seinen Kriegen und Reichsgründungen, doch zeigte sich die Tendenz, den großen Alten allmählich in einen legendären Hintergrund zu rücken und seinen Nachfolger mehr und mehr hervortreten zu lassen, zum Beispiel im Gefolge oder an der Seite des Führers bei

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