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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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leicht merkte. Und auch später behielt er einige Kenntnisse des Tschechischen bei.
    „– – – duše má Boha, Boha silného živého, a řiká“, verstand Höllriegl. Beim Psalmodieren warf der Vorbeter die Arme immer wieder in die Höhe. „Skoro-liž Půjdu, a ukážu se před oblíčejem Božím?“
    Heiser, mühsam die Worte formend, fiel der Chor ein: „Slzy mé jsou mi místo chleba dnem i nocí, když mi řikají každého dne – kdež jest Bůh tvůj?“
    Wieder rief der Chorführer, und der Speichel spritzte ihm im Eifer von den Lefzen: „Sud’ mne, Bože, a zasad’ se o mou při – od národu nemilosrdného, a od človĕka lstivého a nepravého vytrhni mne.“
    Und abermals sagten die Tiere im Trott mit nickenden Häuptern: „Nebo ty jsi Bůh mé síly. Proč jsi mne zapudil? Proč pro soužení od nepříitele ve smutku mám ustavičnĕ choditi?“
    Trotz den rauhen, zerrissenen Lauten verstand Höllriegl jedes Wort. Es war wie ein Zuruf, wie ein Lichtstrahl aus einer fernen Zeit. Es mußten die Psalmen sein oder ähnliches. Er war mehr erstaunt als erschüttert. Also war das Licht in diesen Kreaturen noch nicht ganz erloschen, das menschliche Licht!
    Vielleicht konnten sie sich nicht mehr miteinander verständigen – gemeinsam beten aber konnten sie.
    „Abych přstoupil k oltáři Božimu, k Bohu silnému radostnémo – – –“ Das Geleier verwehte, als die Herde jenseits des Hügels war. Traumverloren verharrte Höllriegl mit hängender Kinnlade. Er sah sich klein und schwächlich in der Kirche von Bukovsko stehen, im weißen Kragen, mit dem roten Ministrantenkittel angetan. Seine gescheitelten Haare rochen nach Klettenwurzelöl. Er sah den blaßrosa Anstrich des Kirchenschiffs, die Heiligen und Engel aus glänzend bemaltem Gips, die Fuchsien in den Töpfen. Von der Decke blickte das schreckhaft aufgerissene Vaterauge des Allmächtigen; es war dreieckig. Er sah das graubraune, wurmstichige Holz des Chors und der Bänke, er sah die zinnernen Pfeifen der Orgel, deren Bälge er manchmal treten durfte. Immer roch es nach kaltem Weihrauch und dem abgestandenen Regenwasser in den Fässern unterm Kreuzweg. Er hörte das Summen der Wespen, das Knirschen der Bauernschuhe auf den sandigen Fliesen. Das Ewige Licht leuchtete rubinrot. Er sah vor sich die kleinen, bauchigen Beichtstühle, von denen der Hauch läßlicher Sünden ausging. Feist waren sie, diese sänftenartigen Kästen mit ihren dunkelvioletten, schleißigen Vorhängen, hinter denen das erhitzte Gesicht des Priesters sich verbarg. Und ewig würde er die schrecklichen Sätze auf den Zetteln auswendig wissen, die über den vergitterten Fenstern im Innern der Beichtstühle angeschlagen waren. Casus Ordinario reservati. 1. Perjurium solemniter emissum. 2. Homicidium voluntarium, et procuratio abortus effectu secuto. 3. Copula incestuosa cum consanguineis vel affinibus primi gradus. 4. Incendiarii crimen effectu secuto. – Er verstand die Sätze nicht, sie mußten aber etwas Abscheuliches bedeuten. Wie hatte er das nur vergessen können! Es war ja alles erst gestern gewesen, auch daß er die Božena im Gestühl auf der Weiberseite hatte knien gesehen, unter den anderen Dörflerinnen im Sonntagsstaat. Božena, die Kindsdirn, sie hätte seine Mutter sein können, die ihm manchmal ihren nackten, dicken, milchweißen Hintern zeigte und vorn das dunkle dreieckige Vlies, ein auf die Spitze gestelltes Auge Gottes und nicht minder schrecklich. Dort saß sie jetzt und verdrehte ihre bigotten Augen nach oben – sie, die ihm immer im Dunkeln auflauerte, ihn abgriff und seine Hand zu einer gemeinen Stelle ihres Leibes führte …
    Jäh riß ihn etwas aus der sekundenschnellen Träumerei. Er fühlte sich angestarrt. Richtig, da stand auf der Terrasse unten eine menschliche Gestalt und sah unverwandt zu ihm herauf. Ein Weib, eine junge Frau. In ihren Händen trug sie prall gepackte, sichtlich gewichtige Bündel. Dazu einen Binkel auf dem Rücken, aus dem der Deckel einer Kanne lugte. Ein Mädchen, eine Dörflerin der Kleidung nach, nicht einmal häßlich, nur verwahrlost. Endlich wieder ein aufrecht gehendes Wesen! Aus der Ferne gellten noch die tierischen Schreie des Vorbeters.
    Die Dörflerin schien ihn bereits eine Weile beobachtet zu haben. Als er sie ansah, lächelte sie, als habe sie ihn erwartet, nickte und kam mit ihrem Gepäck die Stufen herauf. Sie stieß ein paar Laute aus, wie es Stumme tun, und deutete durch eine Bewegung ihres Körpers

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