Wenn das der Führer wüßte
durchgeführt wurden, war man leider noch meilenweit entfernt, obwohl einzelne Ergebnisse, wie im „Kyffhäuser-Boten“ einmal zu lesen stand, „zu schönen Hoffnungen berechtigten“.
Höllriegl hatte die künstlichen Bestien noch nie gesehen. Ja im Innersten sträubte er sich dagegen, an die Möglichkeit oder gar Verwirklichung der bewußten Experimente zu glauben; sie waren zwar ein offenes Geheimnis und in den dem Amtswalter und Heilgehilfen zugänglichen rassentheoretischen Schulungsbriefen vage und schönfärbend besprochen worden. Vom weltanschaulichen Standpunkt aus konnte er sie nicht ablehnen, das sagte er sich immer wieder, denn in seinen Vorstellungen von einer heldischen Hierarchie und einer idealisierten Götterwelt gab es gleichfalls ein Herrschen und Beherrschtwerden, ein Töten und Getötetwerden, eine Höherentwicklung der Art auf Kosten der Niederen, gab es Eudämonen und Kakodämonen. Als aber nun die Tiermenschen langsam den Hügel heraufkamen, auf ihn zukrochen, zuerst der Horror ihres Gestanks, den eine Brise herwehte, dann der schauderhafte Anblick ihrer verkrümmten und verwahrlosten Körper in ihm ein Ekel- und Schwindelgefühl sondergleichen hervorriefen, sah er, daß ein biochirurgischer Traum Gestalt angenommen hatte.
Wie erstarrt blieb er liegen, und unwillkürlich tastete er nach dem Genickfänger, der einzigen Waffe, die er bei sich trug. (Als Amtswalter war ihm befohlen, auf Reisen eine Pistole zu tragen, doch er hatte sie im Wagen gelassen.) Die nur in der Behaarung unterschiedenen, vor Schmutz starrenden, mit asbestfarbenen Kitteln oder Resten von solchen bekleideten Bestien schienen friedfertig zu sein. Nichts Menschliches haftete ihnen mehr an. Die Schnauzen am Boden – oder waren es noch Nasen und Münder? –, so zogen sie, mit den Köpfen zum heiseren Singsang nickend, ihres Weges. Als eines der Tiere ihn abzuschnüffeln begann, holte er, am ganzen Leibe zitternd, zum Schlag aus. Die Kreatur, vielleicht hatte sie einmal ein Menschengesicht gehabt, wich kreischend zurück, der Stimme nach eine Frau, wobei sie ihre abgefaulten Zähne zeigte – es war aber eine Art Lachen. Die übrige Herde beachtete ihn kaum.
Plötzlich wurde Höllriegl sich eines Umstandes bewußt, der wie schriller Alarm auf seine Nerven wirkte. Mit einem Satz sprang er auf. Wo waren die Wärter, die Wachen? Kein Uniformierter zu sehen. Die Horde schien sich selbst überlassen – wäre sie ein Arbeitstrupp im Einsatz, würde sie Bewachung haben. Die Tiermenschen folgten völlig frei einem Wesen, das sich in Aussehen und Getue in nichts von ihnen unterschied, nur daß es, wie unter einer schweren Last, halb aufrecht einherschwankte. Es schien der Kapo zu sein, zugleich der Vorbeter. Das Wesen, es war von grotesker Häßlichkeit, betete so etwas wie eine Litanei herunter, in die die grausige Gefolgschaft von Zeit zu Zeit halb murmelnd, halb singend einstimmte.
Der eine oder andere Wortklang kam Höllriegl vertraut vor; er horchte schärfer hin – ja, es war Tschechisch. Es war tschechisches Versuchsmaterial! Bei der Aussiedlung der Tschechen aus dem ehemaligen Protektorat, dem jetzigen Reichsgau Böhmen und Mähren, waren nur ausgesuchte Intelligenzgruppen zurückbehalten worden, die man fallweise an UmL, Biolabors und die Versuchsanstalten der Rak-Gelände Peenemünde und Beydritten überstellte – für kriegswichtige Experimente. Das tschechische Volk als solches hatte man, ebenso wie die Bevölkerung des einstigen Generalgouvernements Polen, auf die vier russischen Warägerprovinzen (partei-intern hießen sie richtiger Fronvogteien) verteilt, wo es für die deutsche Wehrbauernschaft Leibeigenenarbeit zu verrichten hatte und unmittelbar der Befehlsgewalt des Reichsvogts SS für den Osteinsatz unterstand.
Tschechisch! Als Kind hatte Höllriegl einige Sommer in Südböhmen verbracht, auf einem Meierhof in der Budweiser Gegend. Er war damals von zarter Konstitution und häufig krank gewesen, und seine deutschböhmische Mutter hatte ihn aus Angst, er werde lungenkrank werden, zu Verwandten auf eine „poustka“ oder „jednota“ geschickt, damit er in der kräftigenden Luft der Nadelwälder und bei kuhwarmer Milch stärker und gesünder werde. (Was er auch wurde.) In der stockböhmischen Gegend lernte der Knabe sehr rasch die Umgangssprache, ja die frommen Verwandten schickten ihn allsonntäglich in die nahe Dorfkirche zum Ministrieren, weil er sich die teils lateinischen, teils tschechischen Gebete
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