Wenn das der Führer wüßte
der Zugehstollen bergan, die Zimmerung trat wieder an die Stelle der Stahlrippen. Als der Mechaniker eine verrammelte Tür aufstieß, befanden sie sich vorerst noch nicht im Freien, sondern in einer dämmerigen Höhle, deren Decke herabhing. Höllriegl holte tief Atem, seine Augen mußten sich erst an das grünliche Tageslicht gewöhnen. Er nahm halbgeborstene Mauern mit Sehschlitzen aus, das Material war dicker Beton. Ein Gewirr von Schlingpflanzen und verrosteten Eisenstäben bedeckte innen und außen die Schlitze, so daß nur wenig Licht durchsickern konnte. Es war ein kleiner Luftschutzbunker mitten im Wald, wie sich zeigte; sichtlich hatte man ihn zu sprengen versucht. Wie viele Ausgänge gab es hier noch?
Der Mechaniker beschrieb ihm den Weg, es schien nicht leicht zu sein, aus dem Wald herauszufinden. Höllriegl prägte sich die Wegmarken ein und wiederholte sie. Dann verabschiedete er sich mit seinem mundfaulen „Heitla“.
„Gott befohlen!“ grüßte der Mechaniker und tauchte im Stollen unter.
Obwohl sich Höllriegl den Weg, wie er glaubte, gut gemerkt hatte, verlor er in dem dichten Gehölz bald die Spur. Er orientierte sich mehr nach dem Gefühl, ließ das Tal mit den hochstämmigen Föhren hinter sich und ging, so rasch er in dem Gestrüpp vorwärts konnte, durch den verluderten Jungwald. Eher zufällig kam er auf die Lichtung hinaus, in der er die „Schindluderbude“ des Wasenmeisters gesehen hatte. Er eilte an dem verruchten Ort vorbei, ohne sich umzudrehen. Von da ab war der Pfad, den er mit der Stummen gegangen war, wieder gut zu erkennen, der Baumbestand wurde schütterer, und fast laufend erreichte er den Waldrand. Schweißperlen standen ihm auf Stirn und Wangen. Er lauschte – da war es wieder, das ferne Donnern über den Wolken.
In weitem Bogen umkreiste er das Totenmal. Dort unten stand sein Wagen. Als er am Volant saß, atmete er einige Male tief und gierig die Luft ein. Er war nun fest entschlossen, zunächst das Gutachten bei Gundlfinger abzuliefern, sich unter dem Vorwand eines Pendelversuchs bei dem Philosophen umzusehen und dann erst die Verschwörer anzuzeigen. Wenn Unseld und Diebold der Polizei noch einmal durch die Finger schlüpften – auch gut. Sie waren Nationalsozialisten vom alten Schlag. Wie er – trotz allem! Trotz Anselma und dem Teufel! Aber diese „Seelenforscher“, diese Teufelsintellektuellen! Diese Ratten, die alles annagten! In ihrer Dünkelhaftigkeit hatten sie ihn für einen Idioten gehalten, für einen Waschlappen. Die sollten sich wundern …
Eine peinliche Überraschung! Die Pistole war futsch und auch die Reservemunition. Die Waffe war, hinter Putzlappen versteckt, im Handschuhfach gewesen. Und seine Straßenkarte, in die er den letzten Stand der Sperrzonen eingezeichnet hatte, war ebenfalls fort. Böse Sache das. Nun mußte er, ob er wollte oder nicht, die Anzeige erstatten. Sofort! Doch halt, auch das war zu überlegen. Er hatte fahrlässig gehandelt, als er den Wagen unversperrt stehen ließ. Ein Amtswalter mußte mehr Vorsicht üben – wie sollte er den Volksgenossen als Beispiel voranleuchten! Seine Vergeßlichkeit war strafbar, besonders in solchen Zeiten.
Er sprang mit beiden Füßen aus dem Wagen und klappte die Haube des Kofferraums zurück. Hier fehlte nichts, das sah er auf den ersten Blick. Er öffnete den Koffer, überzeugte sich flüchtig. Auch das Geld war unangetastet. Die Diebe hatten nur das Fach am Armaturenbrett durchsucht. Wütend ließ er den Motor warmlaufen. Das war ihm noch nie passiert – nicht, seit er den Wagen hatte, seit er hier war. (Einmal in Italien, auf einer Urlaubsfahrt, war er beraubt worden.) Musik! Man mußte sich beruhigen! Er drehte an den Knöpfen, das Radio blieb stumm. Jemand hatte die Verbindung zur Batterie unterbrochen.
Einen Augenblick dachte er an eine Streife. Unsinn! Die hätte ein Strafmandat oder sonst was Schriftliches hinterlassen. Wer wars also? Eine verdammte Geschichte! Unwillkürlich brachte er das Attentat mit den Tiermenschen in Zusammenhang – und auch mit der Stummen. Paule hatte sie geheißen. Sollte er nach Schicklgrube zurückkehren und den Angeber spielen? Und wieder durchfuhr ihn ein eisiger Schreck: die Tiermenschen hatten keine Wachmannschaft gehabt.
Stille und Frieden, weit und breit nicht ein Auto zu sehen. Über Nacht war die Welt menschenleer geworden. Im nächsten Dorf, es hieß Beizehude, sah er gezählte zwei Personen auf der Straße. Und überall das gleiche Bild: an
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