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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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den Häusermauern grellrote Fahndungsblätter mit den Gesichtern der beiden Hochverräter („… Wer immer Sie sind … hören Sie, was ich Ihnen sage … und sagen Sie es weiter …“), da und dort eine Trauerfahne, von Wind und Wetter zerzauste Transparente vor der üblichen Führereiche. Und immer Werwolfzeichen und Köpflers Augen.
    Er fuhr langsam, an seinem Tempo hätte man merken können, daß er in Gedanken verloren fuhr. Vor Bad Harzburg mündete die Straße ein, es war, wie er sich erinnerte, die Sechs, die er über Wernigerode gekommen wäre, hätte die Änderung der Sperrzonen nicht den Umweg über Helmstedt, Braunschweig, Salzgitter und Goslar nötig gemacht. Dann hätte er allerdings auch nicht die Bekanntschaft der Ratten gemacht. Was ging ihn das Ganze an? Er war ein schlichter Volksgenosse und kein Politiker. Aber es war seine Pflicht als Parteigenosse, den Verschwörern das Handwerk zu legen.
    In Bad Harzburg tankte er, und während sein Blick dem Zeiger der Pumpe folgte, kam er mit der Gehilfin des Tankwartes, einem rundlichen Mädchen aus dem Mansfeldischen (man merkte das an der Färbung des Hochdeutschen), ins Gespräch. Studentin im Arbeitseinsatz, Pharmazeutin. Das Mädchen sagte etwas Phantastisches: „Die Japse sollen heute früh – warten Sie, wo? – ja, in Irland, in Portugal und auf der Krim gelandet sein – aus der Luft, in Massen!“ Woher sie das habe? Im Parteihaus wäre davon gesprochen worden, sie hätte es gehört, als sie die Benzinmarken ablieferte. Übrigens – wisse der Herr schon, daß die Zuteilung für Treibstoffe und Abschmiermittel neuerlich herabgesetzt worden sei, die Quoten hätten sich je Wagenklasse und für alle drei Dringlichkeitsstufen sehr verschlechtert. Schärfste Rationierung! Zuerst das Wasser, jetzt das Benzin. Höllriegl bezahlte, und das Mädchen stempelte den Marschbefehl ab und trug die getankten Liter ein. „Wenn das so weitergeht, müssen wir sperren“, sagte sie, als sie mit einem Lappen über die Scheiben wischte.
    Hinter Bad Harzburg – es hatte ihm einen Riß gegeben, als er dort an einem offenen Polizeirevier vorbeigefahren war – fiel plötzlich starker Nebel ein, man konnte kaum die Waldstücke erkennen, die rechts und links zur Chaussee heranrückten. Das Gelände wurde unwirklich. Die Windschutzscheibe glitzerte im gedrosselten Scheinwerferlicht, der Nebel war wie eine fahle, elastische Wand. Die Strecke, die Hirnchristl vorgeschlagen hatte, Hasserode, Friedrichsthal und so weiter, lag auf der anderen Seite des Brockens. Um die Verbindungsstraße nach Rundstedt und Sauckelruh zu erreichen, mußte er bis Wohlstand fahren, dort zweigte sie ab und führte nordwestwärts nach Rundsteck hinauf. Der verteuxelte Nebel! Die Straßen hatte er im Kopf – und den Kartendiebstahl mußte er auch nicht melden, weil ihm nur eine Übersichtskarte des Altreichs im Maßstab 1:1,000.000 geklaut worden war. (Die ominöse Grenze wäre 1:200.000 gewesen.) Genauere Karten besaß er wohl, er hatte sie in Heydrich – sie wurden jetzt von der Partei eingezogen, und die Partei wußte schon, warum. Ihm aber, einem Hauptstellenleiter und Heilbehandler, würde man sie lassen.
    Auch den Diebstahl der „Faustfeuerwaffe“, so die amtsförmliche Bezeichnung, konnte er verschmerzen und verheimlichen. Es war eine Selbstladepistole aus Wehrmachtbeständen der Vorkriegszeit, eine 6,35, er wollte ohnehin eine neue, modernere anfordern. Das mußte nun ruck-zuck geschehen. Der Schwager von Kummernuß hatte diese Dinge im „Parlament“ über – der würde es sicher auch fressen, wenn er zu Protokoll gab, die Pistole verloren zu haben.
    Zwischen Schierke und Wohlstand begegnete er einem einzigen Fahrzeug, einem abgedunkelten Personenbus der Reichspost; nur ein paar Leute saßen drin, wie Puppen. Aber in Wohlstand – das Kaff hatte früher einmal, bis nach dem Sieg, Elend geheißen – lauerte an der Abzweigung nach Rundstedt ein Wagen mit blauen Lichtern. Höllriegl fuhr langsam, „wie auf Eiern“, um die Streife einzuladen, seine Papiere zu überprüfen. Doch niemand kümmerte sich um ihn.
    Es ging gemächlich bergauf, die Straße quetschte sich kurvenreich durch das Bergtal, und trotz Nebel und Dunkelheit konnte er sehen, daß es sich mehrmals zu malerischen Schluchten verengte. Wo sonst Wasserstürze rauschen mochten, lief jetzt nur wenig Wasser über die Felsen. Höllriegl kurbelte das Fenster herunter und sog mit geblähten Nüstern die Luft ein, die nach Regen

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