Wenn das der Führer wüßte
Lohndiener. Neuerliche Musterung von oben bis unten, wobei des Mannes Blicke an Höllriegls Röhrenstiefeln und Uniformbluse haftenblieben.
„Wir haben nur eine Dachkammer frei, nach hinten hinaus. Das Haus ist besetzt“, sagte der Lohndiener.
„Gut, ich nehme sie. Und kann ich zu essen haben?“ Nach dem frostigen Empfang schien die Sache wenig aussichtsreich. Höllriegl setzte sich jedenfalls in die fahl erhellte Schankstube, die bei besserer Beleuchtung ganz hübsch sein mochte.
„Die Köchin kann dem Herrn Rühreier machen“, antwortete der Mann und deutete auf das schwabblige Weib, das, an der Theke lehnend, Höllriegl den Rücken kehrte. „Unser Küchenbetrieb ist für heute eingestellt.“
„Ja, machen Sie schnell die Eier und bringen Sie mir was Trinkbares, Fruchtsaft, irgend etwas.“ Er ging wieder auf den Platz hinaus, um sein Köfferchen zu holen. Gut, nicht im Wagen übernachten zu müssen.
Als er zurück war, hörte er die Magd in der Küche herumkramen. Fett brutzelte. Der Fruchtsaft, limonadiges Zeug, das abgestanden schmeckte, erfrischte ihn nicht. Er ging in die Küche und bat um frisches Wasser. Doch Trinkwasser gab es heute nicht mehr, nur Regenwasser zum Waschen.
„Wo sind denn eure Gäste?“ fragte er, um mit dem Weib ins Gespräch zu kommen. Er hoffte, Neues zu erfahren.
„Im Keller.“ Abweisend schepperte die Köchin mit dem Geschirr, hier war sichtlich wenig zu machen.
„Gibts was Neues?“ schrie Höllriegl, um das Geklapper zu übertönen. Keine Antwort.
Der Lohndiener, der zugleich die Dienste des Nachtportiers versah, brachte den Meldezettel, und Höllriegl füllte die Rubriken aus. Auch der Mann war absichtsvoll verschlossen. Eine stumpfe, stupide Gesellschaft. Auf Höllriegls Frage machte er nur eine Geste, die bedeuten sollte, daß es überflüssig sei, etwas zu sagen. Dabei seufzte er und hob den Blick zum Himmel.
Dann gingen sie ins Dachgeschoß hinauf. Eine Überraschung – die Mansarde war angenehm möbliert. Eine Schrägwand, einfacher Hausrat, vor dem Fenster ein heller, steifleinener Vorhang. Kein Fließwasser, dafür aber eine ungeheuer einladende Bettstatt – auf diesem Pfühl hatte man sich gut betten. Eine Überraschung war es auch, daß der Lohndiener, nachdem er das Licht ausgeknipst hatte, das Luftschutzrollo hochschnellen ließ und gesprächig wurde: „Von hier aus hat der Herr bei klarem Wetter gute Sicht auf die Schnarcherklippen und die Feuersteine – und kein Gegenüber. Jetzt aber müssen Sie in den Keller. Ich werde bestraft, wenn man uns hier oben antrifft. Es gibt Kontrollen.“ Wieder ein vielsagender Blick auf Höllriegls Uniform. „Wann die Entwarnung sein wird, kann ich nicht sagen. Gestern sind wir viereinhalb Stunden im Keller gesessen.“ Und als sie auf der Treppe waren, wisperte er: „Unsere Dienstleute, ein Ehepaar aus Ungarn, sind seit Mittag abgängig. Ich wette, sie sind getürmt, man ist hinter ihnen her. Wir beide, ich und Katrin, wir müssen jetzt den Laden allein schmeißen.“
Auch im Keller hatte irgendwer die Lichter stark gedrosselt, was als Luftschutzmaßnahme sinnlos war. Man mußte extra durch eine Lichtfalle, und nur wenige Birnen brannten, aber von Strahlenschutz war natürlich keine Rede. Die Gäste, beinah durchwegs Einzelpersonen, saßen verdrossen auf ihren Koffern oder auf Hockern. Sie waren, bis auf eine Wehrmachthelferin in Uniform, angejahrt und stierten mit schlaffen Gesichtern vor sich hin oder lasen trotz der trübseligen Beleuchtung. Eine grauhaarige Dame kritzelte an einem Brief, andere wieder tuschelten miteinander – Laune und Stimmstärke schienen in allen Luftschutzbunkern reichseinheitlich ausgerichtet zu sein. Etwas Fades und zugleich Angespanntes lag in der Luft, wie im Wartezimmer eines Krebsspezialisten. In diesem Keller gab es keine Lautsprecheranlage und daher keine Durchsagen, was Höllriegl verstimmte. Auch hatte niemand ein Kofferradio. Er war begierig, Neues zu hören.
Der Lohndiener ging wieder nach oben, nachdem er sich einen nachttopfähnlichen Stahlhelm, der weiß und gelb bemalt war, aufgesetzt hatte, was ihn als Luftschutzwart auswies. Nun mußte er am Radio den Horchposten beziehen. Die Wehrmachthelferin, eine leidlich hübsche, frech aussehende junge Person, las mit hochnäsiger Miene in einem Schmöker; sie hatte Höllriegl nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Aber das war es nicht, was ihn an ihr unangenehm berührte. Das Mädchen zog ihn an – und stieß ihn
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