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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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sah er, wie vor dem Waggonfenster die mittels Preßluft angetriebenen Verschlußstangen aus ihren Verstecken schlüpften, um die Türen abzusperren, dann wieder, wenn der Zug hielt, zurückglitten, und daß dieser Vorgang – wie beim Beischlaf – sich stets wiederholte. Das schlangenhafte Zischen der Preßluft, das ferne Rollen, die erschlaffende Wärme! Als Angehöriger der Herrenrasse fuhr er selbstverständlich in der Ersten, in die der Franzmann nicht hineindurfte. Die schokoladebraune Zezette stand in der überfüllten Grünen drüben, ans Fenster gepreßt, und sah zu ihm herüber. Eine Zauberin, eine Wudu-Magierin! Dem sengenden Glanz dieser Blicke konnte er sich nicht entziehen, er spürte sie noch jetzt tief in seinem Rückenmark. Er wußte es, als wäre es gestern gewesen, und noch immer überrieselte es ihn kitzlig, wenn er an dieses Weibwesen dachte. Zwischen den Stationen – wie hätte er ihre Namen je vergessen können! – Barbe Bleue, Lune Perdue, Le-Chien-Qui-Pisse, Brouhaha, Schlageter und Père Pervers hatte er sich in Zezette verknallt – Liebe auf den ersten Blick war es gewesen, das heißt, die Blicke der Dunkelhäutigen hatten ihn behext, vexiert, anders war es nicht denkbar, daß er seine Rasse vergaß. Ein unholder, giftiger Zauber! Er, ein Angehöriger des Herrenvolks, und diese Farbige! In Frédéric-le-Grand war sie ausgestiegen, und er war ihr wie ein Hündchen durch die weitläufigen Gänge der Correspondance nachgelaufen, und sie hatte ihn drüben, auf dem Bahnsteig der Züge nach Carthage und Napoléon-le-Petit, in eine Ecke gedrückt, lächelnd erwartet – die Siegerin! Sie trafen sich dann heimlich, immer wieder und an allen Orten, obgleich sie kaum miteinander reden konnten. Was wußte er sonst von Paris? Er erinnerte sich wirklich nur an den Papiersack, der in seinem Hotelzimmer unter dem Waschtisch gehangen hatte, mit der Aufschrift „Hygiene feminine“. Und auch den Satz wußte er noch genau: „Glissez votre garniture periodique dans ce sachet. Ne jetez rien dans les W. C. – Merci.“
    Plötzlich riß ihn ein Wort aus seiner Geistesabwesenheit. Er spitzte die Ohren. „Bundschuh“ … Der Bundschuh war ursprünglich eine weltanschauliche Gliederung oder, wie es auch hieß, Wirkordnung des Reichsnährstandes gewesen, ins Leben gerufen, um die deutsche Bauernschaft mit dem jeweilig neu erarbeiteten Gedankengut des Nationalsozialismus zu durchtränken. Später machte sich der Verband, dem nur werktätige Bauern angehören durften, vom Verwaltungsbetrieb des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mehr oder minder unabhängig und trat im Rahmen der Partei als eigenständige Bewegung auf, mit eigener Presse, eigenen Arbeitsgauämtern, eigenen Diensträngen. Der Bundschuh, straff nach dem Führerprinzip aufgebaut und nach Landsmannschaften ausgerichtet, erhielt die Befehle vom Reichsbauernführer unmittelbar, wogegen er früher der Abteilung VIII (Neubildung deutschen Bauerntums) des erwähnten Ministeriums unterstanden hatte. Er genoß eine hohe Gerechtsame, war ständig beim Reichserbhofgericht vertreten und hatte in allen Fragen des Bauern- und Bodenrechts mitzuentscheiden.
    Wie Höllriegl jetzt hörte, gärte es mächtig im Bundschuh. Die Bauernschaft schien in Spaltung begriffen zu sein; ein Teil, der kleinere, hielt es mit dem Werwolf, ein anderer, der in allerjüngster Zeit das Massenblatt „Der arme Konrad“ herausgab, verurteilte in ätzenden Worten Köpflers Politik und forderte eine umstürzende Erneuerung an Haupt und Gliedern. Dieser Teil mußte über einen geradezu unheimlichen Anhang – selbst in der Reichsregierung – verfügen, sonst hätte er derlei nie wagen dürfen. Eine Kraftprobe stand bevor, das war mit Händen zu greifen, eine Kraftprobe, die das Weltreich vielleicht in den Grundfesten erschüttern würde. In seiner letzten Ausgabe, die die Form eines Flugblattes hatte, rief „Der arme Konrad“ – ein Abriß wurde von dem Herrn aus Aschersleben verstohlen vorgezeigt – die Bauern zu einer Massenkundgebung nach Stolberg am Harz zusammen, dem Geburtsort Thomas Münzers, unweit von hier, wodurch dem strengen Versammlungsverbot der Partei, das auf Kriegsdauer Geltung hatte, offen zuwidergehandelt wurde. In der Nummer wurde rundheraus ein Reichsregiment der Bauern gefordert und die Parole „Notdurft deutscher Nation“ verlautbart. An anderer Stelle – das war schon offener Aufruhr – hieß es: „Statt Nation Population!“ und

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