Wenn das der Führer wüßte
„Das Unkraut muß beizeiten ausgerauft werden, noch ehe die Milch in den Körnern steht.“ Auch wurde eine strenge, unparteiische Untersuchung der Umstände gefordert, die zum Tode Adolf Hitlers geführt hatten. Daß es der Bundschuh auf ein Äußerstes ankommen ließ, bezeugten die Worte, mit denen der Aufruf schloß, es war ein Zitat aus den Tagen des Bauernkrieges: „Steche, schlage, würge, wer da kann!“
In der Hauptsache schien sich der Widerstand gegen den im sogenannten Führertestament zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ernannten SS -Brigadeführer Säusele, einen verrufenen Werwolfmann, zu richten. Dies deutete der Waschmaschinenverkäufer mit aller gebotenen Vorsicht an, und Südekum fügte hinzu, er wisse es aus verläßlicher Quelle, daß der von Köpfler gegen den Willen des verewigten Führers entmachtete Gauleiter Gernot Firbas, der ursprünglich zum Reichsführer SS ausersehen war, mit der „antlitzlosen“ Führung des „Armen Konrad“ engste Tuchfühlung halte. Firbas sollte erklärt haben, er werde die Zusammenkunft der bäurischen Landsmannschaften zu Stolberg gegen jedweden Zugriff des Werwolfs zu schützen wissen. Der Gauleiter stützte sich hierbei ohne Zweifel auf gewisse Einheiten der Polizei, besonders der Landgendarmerie, aber auch der SS -Verfügungstruppe und der von Köpfler gemaßregelten Luftwaffe. Unklar war zur Zeit die Stellung der Wehrbauern in den Fronvogteien des Ostlandes. Man hatte sie samt und sonders im sogenannten Asgard-Ring zusammengefaßt, der weltanschaulich dem NATMAT und Werwolf nahestand. Die Asgardleute waren also eigentlich Werwolfleute. Auf Grund der augenblicklichen Lage – Landungen des Gegners weit im Rücken des Ostwalls und der mittelrussischen Siedlungsgürtel – konnte mit einem Eingreifen der Wehrbauernschaft kaum gerechnet werden. Die bevorstehende Auseinandersetzung im Altreich, darüber waren sich die Herren einig, beschränkte sich auf den radikalen Flügel des Bundschuhs und die Werwolfgruppen.
Das war so ziemlich das Schlimmste, Bedrohlichste. Höllriegl überlief es heiß und kalt. Im eigenen Volk gärte es also. Unter den Bauern, die stets des Führers allertreueste Gefolgschaft gewesen. Nicht zu fassen! Die Herren taten allerdings so, als sei dies nicht erst von gestern.
„Jetzt hamm wa Sie dermaßen volljequasselt“, sagte Südekum zu Höllriegl, „daß ich richtjen Kohldampf habe. Bin zwar uff Diät jesetzt vonne Ärzte wegen meiner Pumpe, aber jetzt so’n Eisbein zu inhalieren mitne Molle – das war die wahre Wonne. Odern magern Gulasch oder Hering mit Zwiebel. Und ne kühle Blonde. Och! Ich versteh ja nun nich, wieso man mitn kranken Herz kein Eisbein essen –“
In diesem Augenblick wurde die Bunkertür aufgerissen, und aller Augen wandten sich sogleich dem Portier-Lohndiener-Luftschutzwart zu, der, den Stahlhelm schief auf dem Kopf, sich augenscheinlich in größter Erregung befand. Mit heiserer Stimme stotterte er in die Stille, die ihn empfing: „Die erste Atombombe ist auf das Reich gefallen … im Raum von Lemgo-Bad Salzuflen … Strahlenalarm!“ Augenblicke der Lähmung, Herzschläge setzten aus. Dann aber sprang alles auf und schrie und lief durcheinander. Die Frauen kreischten vor Entsetzen, bloß die briefschreibende Dame blieb sitzen und beobachtete mit dummen, gütigen Augen den Trubel. Sie schien, weil taub oder schwerhörig, nichts verstanden zu haben. Am hysterischesten gebärdete sich die Wehrmachthelferin, sie preßte ihre Hände an die Ohren und schrie in höchstem Diskant. In einem abstürzenden Flugzeug hätte es bestimmt nicht ärger zugehen können.
Höllriegl bewahrte eine Ruhe, die ihm selbst nicht geheuer vorkam. Irgendwie war er in den letzten Tagen gefühllos geworden, ihm war alles scheißegal. Alles, was er erlebte, hatte die Qualität eines Traums, den man, ob man will oder nicht, zu Ende träumen muß. Instinktiv hatte er sich in dem Wirbel an die Wehrmachthelferin herangemacht, die aus Leibeskräften schrie und wie von Sinnen mit den Füßen stampfte. Ihre hochnäsige Miene hatte sich in eine Fratze der Furcht verwandelt.
Aber verteufelt hübsch war das Blitzmädel, schon zuvor waren ihm ihre schlanken, stark behaarten Beine aufgefallen. Unter dem Vorwand, sie zu beruhigen, drückte er sie an sich, was niemand bemerkte; er spürte ihren zitternden Körper, ihre dünnen Arme, er griff verstohlen nach dem festen, elastischen Busen. Schluchzend warf sie sich in seine Arme,
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