Wenn das der Führer wüßte
in die Arme eines Wildfremden, den sie vorher kaum angesehen hatte.
In dem Lärm konnte sich niemand verständlich machen. Der Luftschutzwart versuchte es einige Male, gab es aber auf. Höllriegl hielt das bebende Blitzmädel an sich gepreßt und stammelte begütigende Worte; in der ganzen schrecklichen und jämmerlichen Szene war dieses junge Wesen das einzige Etwas, das zu beschützen einen Sinn hatte. Er sah Südekum und den Mann aus Aschersleben auf den Luftschutzwart einreden. Sie verließen – wie es schien, fluchtartig – den Luftschutzbunker. Irgendwer, eine der ältlichen Frauen, rief plötzlich aus: „Die Partei denkt für dich!“ Und schon gab es welche, die das Schlagwort aufnahmen und brüllten: „Die Partei denkt für uns! Die Partei denkt für uns! Die Partei denkt für uns! Die Partei denkt für uns!“ Worauf andere antworteten: „Darum danken wir der Partei! Darum danken wir der Partei! Darum danken wir der Partei! Darum danken wir der Partei!“ Und plötzlich rief einer: „Heil Köpfler, heil unserm Führer!“ Doch niemand nahm den Ruf auf.
Wieder erschien der Luftschutzwart, begleitet von Höllriegls Gesprächspartnern. Der Luftschutzwart schwang eine Kuhglocke, die einen lauten, blechernen Ton hatte, und allmählich beruhigten sich die Gemüter.
„Ich bitte die Anwesenden, sich als Deutsche zu benehmen“, rief der Vertreter in Waschmaschinen mit seiner mächtigen Ausruferstimme, die zwischen Überredung und Befehl die Waage hielt – eine wirklich verkaufstarke Stimme und viele goldene Prozente wert. Es wurde sogleich still, nur ein Stimmchen wimmerte wie im Nachhall: „Die Partei denkt für uns!“
„Natürlich denkt die Partei für uns, was denn sonst! Aber jeder Deutsche muß auch handeln können, und zwar vernünftig! – – – Den Anordnungen des LSW ist unverzüglich Folge zu leisten. Jeder von Ihnen hat Strahlenalarme zum Schweinefüttern mitgemacht, um nicht zu wissen, daß das alleroberste Gebot Ruhe heißt. Also immer mit der Ruhe, Volksgenossen! Kaltes Blut und warme Unterwäsche. Das zweite Gebot heißt: Strahlenschutzanzüge fassen! Die Gefahr einer unmittelbaren Strahleneinwirkung ist im Moment nicht gegeben – trotzdem werden wir uns nach Strahlenschutzanzügen umsehen müssen.“
„Schutzanzüge gibt es zwölf im Haus“, sagte der LSW. „Wir sind aber [er zählte rasch die Anwesenden] neunzehn Personen, mit der Köchin. Wer also einen Schutzanzug haben will, der hebe die Hand. Damen haben Vorzug.“
Es waren, die Köchin Katrin inbegriffen, zur Zeit elf Frauen in der Pension. Den zwölften Schutzanzug erhielt ein alter Mann. „Ich bringe Ihnen die Montur“, sagte Höllriegl zur Wehrmachthelferin und gab seinen Worten einen heiteren, galanten Klang. Das Mädel hatte sich auf einen Hocker gesetzt und hielt die Beine umklammert. So saß es da und starrte, nach dem Anfall sichtlich todmüde, vor sich hin.
Als er mit den Männern die Anzüge holen ging, erinnerte er sich an die unheimlichen grellen Blitze, die er am Westhimmel aufflammen gesehen hatte. Das also war die Bombe gewesen, die Strahlung mußte längst den Harz erreicht haben. War es eine kleine Bombe gewesen, so war auf diese Entfernung die Dosis nicht tödlich – nicht unmittelbar tödlich. Außerdem: ihm konnte es egal sein, scheißegal. Ulla, Anselma und die „Gelegentliche“ – wie fern war das alles! Was jetzt zählte, war der Augenblick. Und in diesem Augenblick würde das Reich zurückschlagen. Jetzt! Vielleicht gab es gar keine Feinde mehr. – Warum aber hatte man die Bombenexplosion so lange verschwiegen? Höllriegl rechnete nach. Die Blitze hatte er gesehen, als er nach Sauckelruh eingebogen war. Und jetzt war es – unbegreiflich! – Die Partei denkt für dich! Die Partei denkt für dich! Die Partei denkt für dich! – Er hörte, wie der Luftschutzwart zu einem der Männer sagte: „Heute mittag wurde der Papst von der SS aus dem Vatikan geholt. Er ist schon in Deutschland – hinter Schloß und Riegel.“ (Das war, wie Höllriegl später erfuhr, übertrieben. Man hatte tatsächlich den Papst in Gewahrsam genommen und unter SS -Begleitschutz auf dem Luftweg ins Reich gebracht. Aber im Gefängnis war er nicht, auch war ihm kein Haar gekrümmt worden. Im Gegenteil: man hatte ihn in eine luxuriöse Nervenklinik eingeliefert – dieselbe, in der auch der Dalai-Lama behandelt worden war –, wo der Heilige Vater unter Aufsicht seines Leibarztes und einiger deutscher Kapazitäten mit
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