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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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man durchkam – irgendwie durchkam.
    Draußen war finstere Nacht. Er öffnete das Zimmerfenster und lauschte. Noch immer hörte er in der Ferne die Frau in höchstem Diskant kreischen, unaufhörlich, eine Qual für Ohr und Gemüt; zwischendurch die Schreie des Mannes und den dumpfen Lärm einer Menschenmenge. Auch schien es ihm, als hielte jemand eine Ansprache. Gab es da irgendwo eine Versammlung? Mitten in der Nacht und während eines Luftschutzalarms? Er schloß das Fenster, um die Frauenstimme nicht mehr hören zu müssen, und betätigte den Fensterrollzug. Dann drehte er das Licht an. Wie anheimelnd das Zimmer war, trotz der fahlblauen Beleuchtung.
    Jetzt erst sah er, daß ein großes Blatt neben der Tür lag, im Finstern hatte er es nicht bemerkt. Wahrscheinlich war es durch den Spalt ins Zimmer geschoben worden, als er noch bei Elke lag. Er entfaltete es, eine Art Plakat, schwarz gerahmt wie eine Parte. Der hektographierte Text war in Spruchform angeordnet. Mit wachsender Bestürzung las er:
     
    DIE GEMEINSCHAFT DENKE AUSSCHLIESZLICH IN DEN GEGEBENHEITEN IRDISCHEN SEINS / SIE ERKENNE DAS WESEN DER BEGRENZUNG / SIE ERSTREBE KLARHEIT UND TREIBE WISSENSCHAFT / SIE ZERSCHLAGE DEN GOTT.
    NACH DER TOTALEN ZERSTÖRUNG KOMME EIN REICH GUTER NORMUNGEN / NUR DAS VON DER GEMEINSCHAFT GEPLANTE WIRKT RECHTENS.
    AUS DEM GROSZEN ZUSAMMENBRUCH RETTE ZUNÄCHST DIE ERKENNTNIS / DASZ DEM MENSCHEN KEINE SCHRANKE GESETZT SEI IM GEISTIGEN / UND AUCH KEINE WILLKÜR ERLAUBT IM WIRTSCHAFTEN. FÜHRER SEI KEINER / DU BIST INHALT ALLER.
    WIEDER EINFACH WERDEN IM HAUSEN / STRENG EINFACH. WIEDER SITTLICH WERDEN IM DENKEN / STRENG SITTLICH. WIEDER MENSCHLICH WERDEN IM HANDELN / ALLMENSCHLICH. DAS ERWARTEN WIR VON DER KOMMENDEN GESELLSCHAFT / UND DASZ ES KEIN OBEN UND UNTEN GEBE UNTER DEN MENSCHEN.
     
    Der Text wies Rechtschreibfehler auf. Unterzeichnet war das Flugblatt, denn ein solches hatte er wohl vor sich, mit DER ARME KONRAD. Die Unterschrift flankierten zwei gekreuzte schwarze Fahnen.
    Höllriegl las die Sätze mehrere Male. Er war starr. Kein Zweifel, jedes Wort verstieß da gegen die höchsten Ideale der Herrenrasse, war gegen das Fundament des Abendlandes, die Neue Ordnung gezielt, gegen Führertum, Führerstaat und rassische Auslese, wider alle sonstigen Glaubenssätze der Partei. Das war offene Rebellion! Dabei hatte er ähnliches auch in gewissen Aussendungen der NATMAT-Leute gelesen – die Extreme berührten sich in scheußlichster Weise! Führer sei keiner! Kein Oben und Unten mehr unter den Menschen! Wahnsinn, alles Wahnsinn! Das war einfach der Abgrund – der Abgrund aller Abgründe! Wer hatte ihm das Flugblatt zugeschoben? Und warum gerade ihm? Hatten es die anderen Pensionsgäste auch erhalten? Das konnte eine Falle sein …
    Was sollte er tun? Das Flugblatt bei der Gendarmerie oder beim POL-Leiter der nächstbesten Parteidienststelle abliefern. Das war das einzig richtige. Man mußte eine regelrechte Anzeige erstatten.
    Und da fiel ihm wieder schwer aufs Gewissen: Er hatte ja schon einmal eine Anzeige unterlassen – zumindest bis jetzt unterlassen. Er war mit gefährlichen Verschwörern beisammen gewesen, er hatte mit zwei Vogelfreien an einem Tisch gesessen. Wer würde ihm glauben, daß dies Zufall war? Trotzdem: das alles mußte noch gemeldet werden, und zwar unverzüglich! Doch nein, er wollte es im Anschluß an seinen Besuch bei Gundlfinger tun. Wenn dann noch Zeit war. Die Bombe! Der Atomkrieg war ausgebrochen, darüber gab es keinen Zweifel. Aber das schreckte ihn nicht …
    Schlecht und recht schlief er, von schweren, seichten Träumen gequält, drei oder vier Stunden. Er hatte den Wecker auf sieben gestellt. Mit bohrenden, klopfenden Kopfschmerzen erwachte er vor acht, das Läuten hatte er verschlafen. Rasch wusch er sich, und das kalte, wenn auch spärliche Wasser tat ihm wohl. Einige tiefe Kniebeugen und etwas Armeschwingen, wie gewohnt. Die Partei denkt für dich! Die Partei denkt für dich! Die Partei denkt für dich! – Er fuhr in die Kleider.
    Ein Kommen und Gehen auf den Gängen. Die meisten Pensionsgäste waren schon auf, anscheinend wollten etliche zu Gundlfingers Sprechtag. Elke sah er nicht. Er kritzelte Name, Adresse, einen Gruß („Und Dank für die schöne Nacht“) auf einen Zettel und schob ihn durch den Türspalt. Dann eilte er in die Wirtsstube hinunter.
    Dort saßen schon alle beim Essen, auch Südekum und der Vertreter in Waschsachen. Die meisten aßen aus ihren Luftschutzköfferchen

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