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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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– wohl dem, der jetzt Selbstversorger war. Wortkarg, verdrossen, übernächtig nahm jeder das Frühstück ein. Sogar der Herr aus Aschersleben schien vergessen zu haben, daß er ein verkaufsstarkes Organ hatte. Eine Stimmung wie beim Probefrühstück vor der Magenaushebung. Der Lohndiener ließ sich nicht sehen, nur die Köchin latschte durch die Stube; sie brachte auch Höllriegl das Essen. Er bezahlte Nächtigung samt Frühstück und erntete dafür mißmutige Blicke. Sauwirtschaft! Dieses Dreckskaff würde ihn nie mehr wiedersehen.
    Bevor er ging, stöberte er in seinem Koffer nach. Rute und Pendel lagen bereit, und das Gutachten der „Unterirdischen“ hatte er auch. Dieses würde ihm ein gutes Entrée bei Gundlfinger verschaffen – nun konnte er sich auf die „Unterirdischen“ ebenso berufen wie auf Schwerdtfeger und Hirnchristl. Eine dieser Empfehlungen würde ihn sicher als vertrauenswürdig ausweisen.
    Nebel hüllte ihn ein, als er ins Freie trat. Die Luft war bleiern. Nirgends Leute. Wahrhaftig, die Welt war menschenleer. Auf dem Marktplatz stank es wie in einem Fleischerladen. Rotbraune Lachen da und dort. Ein Köter, zu greisenhaft, um zu bellen, schnüffelte an ihnen herum. Auf einem Holzgestell hingen zwei übel zugerichtete Kadaver – menschenähnliche Wesen. Ohne entsetzt zu sein, eher neugierig, trat Höllriegl näher, vorsichtig darauf bedacht, nicht in die Pfützen zu treten. Da hingen wirklich ein Mann und eine Frau; obwohl nackt, war ihr Geschlecht nur mit Mühe zu erkennen. (Aha, die Schreie in der Nacht!) An Stelle der Brüste hatte der eine Leichnam tellergroße Fleischwunden, aus der Bauchdecke hingen bläulich die Gedärme. Dem zweiten Opfer waren die Geschlechtsteile angebrannt und die Beine mitgeröstet worden. Beiden Kadavern fehlten die Augen. Höllriegl hatte eine Kindheitserinnerung. Es war auf einem Fischmarkt gewesen. Die Händler hieben die Fische mit einem Schlegel auf den Kopf und tranchierten sie. Die zerschnittenen Leiber aber sprangen, selbst noch in den Einkaufstaschen der Weiber, hoch und zuckten erbärmlich … (Dieses Schlachthaus hier wäre ein Fest für Anselma gewesen!)
    Um den Hals der Aufgehängten hingen blutgetränkte Pappdeckel mit Aufschriften, die kaum leserlich waren. Höllriegl glaubte, den Namen Istvan zu entziffern. Er erinnerte sich an die Erzählung des Lohndieners. Das Ehepaar aus Ungarn! Es war also erwischt worden. Vermutlich hatten die anderen Leibeigenen der Hinrichtung zusehen müssen. Ein Knüller!
    Außer daß er Ekel verspürte, der nun etwas arg wurde – wegen des Blutgeruchs –, machte die Sache wenig Eindruck auf ihn. Er stieg in den Wagen und überlegte, ob er ihn im Ort einstellen sollte. Wie hatte das Wesen mit der Glockenstimme gesagt? Es wäre besser, den Wagen in Sauckelruh zurückzulassen – falls er das richtig mitbekommen hatte. Man ginge besser zu Fuß oder liehe sich ein Fahrrad, um zur Walpurgis zu gelangen. Die Glockenstimme hatte ihm einen „Eigenulf“ empfohlen, also einen Mechaniker – Automechaniker oder Wagenverleiher. Den Namen hatte er verschwitzt, aber die Adresse wußte er noch: An der Pfordten. Dort wollte er vorsprechen, den Wagen abstellen und das Radio instand setzen lassen. Ohne Nachrichten war er glatt geliefert.
    Die Häuser rund um den Platz waren mit Trauerfahnen behängt, die wie schwarze Stricke aussahen. Und überall die roten Fahndungsblätter mit den Köpfen Unselds und Diebolds. Vor der Parteidienststelle – es gab in dem Kaff kein eigenes Parteihaus – machte er halt, um das Flugblatt abzugeben. Auch hier gähnende Leere, die meisten Zimmer waren versperrt. Am Schwarzen Brett las er einen Anschlagzettel mit folgendem Wortlaut: „Entgegen der Gepflogenheit, die da und dort angetroffen wird, Strahlenschutzanzüge in erster Linie an ältere oder kranke Personen auszugeben, wird mit sofortiger Wirkung angeordnet, daß Schutzanzüge im Mangelfalle ausschließlich jenen Volksgenossen zur Verfügung zu stellen sind, die sich im Vollbesitz ihrer Kräfte befinden. Vorrang haben Männer sowie Frauen und Mütter bis 35. Dann kommen in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit für Führer und Reich die älteren Jahrgänge. An letzter Stelle stehen Männer und Frauen über 60 sowie Kranke oder Körperbehinderte. Von dieser Anordnung werden nicht betroffen …“ Und nun folgten Blutordensträger, Kriegsversehrte mit hohen Frontauszeichnungen, Trägerinnen des Mutterkreuzes, des Goldenen Parteiabzeichens und so

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