Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
machte.
Nach einer halben Ewigkeit ließ Kierland schwerfällig Luft ab. „Ich weiß, dass in deinem Kopf alles Mögliche durcheinanderwirbelt“, sagte er, den Blick auf Saige gerichtet, „aber sie ist nicht Janelle. Du darfst dein Urteil über sie nicht von deiner eigenen Vergangenheit trüben lassen. Denk doch mal drüber nach, Quinn. Janelle konnte man sehr leicht Angst einjagen, und sie war auch sehr verletzlich. Bei Saige ist das ganz anders.“
„Erzähl das mal meinem Verstand.“
„Was ist denn los?“, fragte der Watchman und hob besorgt die Brauen.
„Wieder diese Träume“, erwiderte Quinn. „Schon seit wir da unten in Südamerika waren. Lange bevor Seth plötzlich auftauchte. Ich sehe diese Sache mit Janelle vor mir, und dann …“, er schluckte, suchte nach den richtigen Worten, „ … dann ist es plötzlich Saige, die sie vergewaltigen und ermorden.“
Kierland fluchte leise vor sich hin. „Und du glaubst, diese Träume würden irgendwas bedeuten?“
„Ich weiß, dass es bloß Albträume sind“, brachte er mühsam hervor, „aber nach all diesem übersinnlichen Mist zwischen Ian und Molly bin ich … Ach verdammt, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“
„Weißt du“, meinte Kierland, die Arme auf die Knie gestützt, „manchmal verarbeiten wir mit Träumen bloß unsere eigenen Ängste. Nimm das nicht so wichtig, Quinn. Sonst könntest du noch etwas ganz Besonderes verlieren.“
Erstaunt musterte Quinn seinen Freund. Woher zum Teufel weißt du das?
Kierland schüttelte den Kopf und grinste. „Komm schon, Mann. Ich habe schließlich Augen im Kopf. Janelle hast du nie mit dieser Intensität angesehen. Zwischen dir und dieser Frau geht etwas ganz Besonderes vor, und du wärst wirklich ein Narr, wenn du zulassen würdest, dass sie dir durch die Finger schlüpft.“ Er senkte die Stimme und fügte hinzu: „Erzähl das keinem, aber ich glaube, diese Träume, die Ian und Molly gleichzeitig hatten, die hatten viel mehr mit ihm selbst zu tun als mit der Tatsache, dass der Merrick in ihm erwachte.“
„Wie meinst du das?“
Kierland zuckte mit den Schultern. „Es wird immer klarer, dass diese Buchanans alle solche Fähigkeiten besitzen. Ian träumt Dinge, die tatsächlich passieren, und hat diese Vorahnungen. Saige berührt irgendwelche Gegenstände, die ihr etwas über ihren Besitzer erzählen. Riley … Wer weiß, aber zweifellos werden wir bald erfahren, was er für ein besonderes Talent hat. Ians Erwachen hat vielleicht dafür gesorgt, dass er sich seiner Fähigkeiten überhaupt erst bewusst wurde, aber ich nehme an, dass seine Träume seine eigene Begabung sind, während Saige ganz andere Fähigkeiten besitzt.“ Er machte eine Pause, strich sich das Haar aus dem Gesicht und deutete mit dem Kinn auf den Übungsplatz. „Das soll heißen, dass deine Träume vermutlich eben das sind und sonst nichts. Träume. Du darfst nicht zulassen, dass sie dein Urteilsvermögen trüben, und darfst Saige nicht länger mit jemandem vergleichen, der sie nicht ist. Janelle war in vieler Hinsicht längst ein gebrochener Mensch, als ihr euch begegnet seid, deshalb wolltest du dich ja unbedingt um sie kümmern. Aber Saige ist eine der stärksten Frauen, die ich je getroffen habe. Sie bricht nicht gleich beim geringsten Druck zusammen, sie lässt sich nicht von dir einschüchtern. Sie wäre eine gute Partnerin für dich, wie Janelle das niemals hätte sein können.“
Weil Janelle, dachte Quinn, am Ende doch immer nur an sich selbst gedacht hat.
„Na ja, du weißt ja, wie das bei uns ist“, murmelte er und blickte wieder auf den Übungsplatz. Wie gern hätte er seinem Freund geglaubt. „Wir Raptoren haben solche Besitzansprüche, das ist … wirklich heftig. Wenn ich sie verlieren sollte, hätte ich wahrscheinlich nicht nur ein gebrochenes Herz. Ich würde wahrscheinlich völlig wahnsinnig werden.“
„Ja, vielleicht“, stimmte Kierland zu. „Andererseits könntest du auch eine richtig tolle Frau bekommen.“ Der Watchman klopfte ihm herzhaft auf die Schulter. „Aus der Vergangenheit zu lernen und zuzulassen, dass die Vergangenheit deine Zukunft bestimmt, das sind zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe. Und du, mein Freund, schlägst eine Schlacht, die längst verloren ist. Du kannst nur noch eines tun, nämlich dir eine Möglichkeit einfallen lassen, wie du kapitulieren kannst, ohne das Gesicht zu verlieren.“
Völlig in Gedanken verloren, ließ Quinn den Mann, der wie ein Bruder
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