Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
jetzt tun sollte. Wenn er ein Watchman war, dann gehörte er zu den Guten, und das sollte eine Erleichterung sein. Trotzdem war Saige sogar noch beunruhigter.
„Du kannst mir vertrauen, Saige. Falls wir hier lebendig wieder rauskommen, wirst du mir sogar vertrauen müssen.“
„Dir vertrauen?“ Er war anders als alles oder jeder, den sie sich je als Watchman vorgestellt hatte – in seinem dunklen, glühenden Blick jedoch lag Wahrheit. Sie glaubte ihm. Aber wenn er wirklich war, was er behauptete zu sein, dann brach er ganz eindeutig jede einzelne Regel der Watchmen. „Ich weiß, wie das eigentlich vonstattengehen sollte“, murmelte sie, ohne ihre Zweifel unterdrücken zu können. „Du dürftest mich lediglich beobachten, müsstest Abstand halten. Und dich nicht mitten in einer Menschenmenge an mich heranmachen, während du denkst … was du halt gedacht hast“, brachte sie den Satz unsicher zu Ende.
„Du weißt ja, was man so sagt: In verzweifelten Zeiten muss man zu verzweifelten Maßnahmen greifen. Nun, dies ist so eine Zeit.“ Er zog ein Foto aus der Gesäßtasche und hielt es ihr hin. Es zeigte sie selbst. „Ich habe Anweisung, deinen zickigen Hintern zurück nach Colorado zu bringen, zu deiner Familie. Dein Bruder Riley hat mir das hier gegeben, damit ich dich finden kann.“
Das Foto war vor zwei Jahren gemacht worden, als sie und Riley das Weihnachtsfest zu Hause mit Elaina verbracht hatten. Saige sah Quinn an und fragte: „Wieso sollte Riley dich schicken, um mich zu suchen? Und was sollte das da in der Bar?“, nur um in der nächsten Sekunde zu wünschen, sie hätte die Klappe gehalten. Je mehr sie an diese eindeutigen Bilder dachte, desto wärmer wurde ihr, als würde sie innerlich dahinschmelzen, und ihr Bauch gab peinlicherweise auch noch ein vernehmbares Grummeln von sich.
Immer mit der Ruhe, Saige. Du musst einen klaren Kopf behalten … darfst dich nicht von deinen Begierden überwältigen lassen.
Dummerweise hatte die Kreatur, die in ihr erwachte, andere Vorstellungen.
Quinn spannte beiläufig seine Armmuskulatur an, als wäre das alles doch gar nicht so schlimm und sie würde völlig überreagieren. „Ja, ich habe daran gedacht, wie es wäre, mit dir zu schlafen – aber das bedeutet nicht, dass ich so etwas tatsächlich tun werde. Es bedeutet nicht mal, dass ich es überhaupt will.“
Aha. Sollte sie nun erleichtert sein, beleidigt oder enttäuscht? „Also, das ist ja toll, schönen Dank.“
„Hör mal, meine vorübergehende Geilheit oder der Wahnsinn oder wie immer du das nennen willst, es ist kuriert“, fügte er hinzu und verzog ungeduldig das Gesicht. „Also, lass uns endlich von hier verschwinden, bevor uns dieses Ding wieder auftreibt.“
Er schob das Foto zurück in die Tasche und hob sein T-Shirt vom Boden auf. Bei jeder Bewegung seines tollen Körpers bildeten sich seine Muskeln ab. Saige blinzelte und fragte sich, aus was für einem Genpool ein Kerl wohl kommen musste, der so gut aussah. Das trübe Zwielicht betonte seine herbe Maskulinität noch, als wäre er ein finsterer Waldbewohner, der aus dem Urwald geflohen war – sie konnte nur hoffen, dass ihr der Speichel nicht aus dem Mundwinkel lief.
„Übrigens, was sollte denn das mit dem Ding über meinem Kopf?“, fragte sie mit seltsam kehliger Stimme, während sie zusah, wie er das T-Shirt überzog, seine Bizeps sprengten fast den Saum der Ärmel.
Obwohl er immer noch ärgerlich war, warf er ihr einen lachenden Blick zu. „Deine Brüder erwähnten, dass du Angst vorm Fliegen hast.“
„Also hast du gedacht, wenn ich nichts sehen kann, wäre es nicht so schlimm?“ Sie schüttelte den Kopf und rieb die Handflächen an der Hose. „Und ein für alle Mal, ich habe keine Angst vorm Fliegen. Ich glaube nur fest daran, wenn Gott gewollt hätte, dass wir fliegen können, hätte er uns Flügel gegeben.“
Er sagte nichts, hob bloß eine Braue, und sie presste die Lippen aufeinander, um das Grinsen zu unterdrücken. Seit sie diesen Kerl zum ersten Mal erblickt hatte, fühlte sie sich wie ein hormonales Wrack, fiel von einem Extrem ins andere, in einen verwirrenden Sog von Gefühlen, der sie in den Wahnsinn trieb. Reizbar. Frustriert. Hart an der Kante und ungemütlich aufgewühlt – aber zur gleichen Zeit fühlte sie sich auf merkwürdige, unerklärliche Weise sicher. Beschützt und bedroht im selben Augenblick, seiner Anwesenheit bewusst wie niemals zuvor. Früher war Saige unter Männern immer ganz entspannt
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