Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
gewesen, hatte gleichberechtigt neben ihnen gearbeitet – eine von ihnen. Normalerweise betrachtete sie sie gar nicht als sexuelle Wesen, nicht einmal die himmelschreiend attraktiven – und niemals so, wie sie Michael Quinn „betrachtete“.
Und diese „Faszination“, in Ermangelung eines besseren Wortes, machte ihr zu schaffen.
Gern hätte sie ihn gefragt, wie das mit der Verwandlung der Watchmen vor sich ging und wo die atemberaubenden schwarzen Flügel abgeblieben waren, aber sie schluckte eine so persönliche Frage hinunter, weil sie damit wahrscheinlich eine intime Grenze überschreiten würde. Nicht wenn er sie anstarrte, als könnte er gar nicht mehr damit aufhören. „Gib mir das Foto“, sagte sie stattdessen.
„Warum?“ Er klang komisch … fast ein bisschen misstrauisch, während er ihrem Blick standhielt. Ihr fiel auf, dass er für einen Mann, der derart Testosteron ausströmte, ganz erstaunlich lange Wimpern hatte, die tatsächlich Schatten auf seine Wangenknochen warfen.
„Gib’s mir einfach“, wiederholte sie und schnappte auffordernd mit den Fingern. Sie hinterließ hier wirklich keinen guten Eindruck, aber das schrieb sie den Umständen zu, es war ja bisher eine miserable Nacht – und die fing gerade erst an.
Saige nahm ihm das Bild aus der Hand, und in der Sekunde, als sie es berührte, wusste sie, dass er die Wahrheit sagte. Riley hatte es ihm wirklich gegeben. Verflucht. Sie entschuldigte sich nicht gern, doch das schien jetzt wohl angebracht.
Trotzdem kamen ihr die Worte nur mühsam aus der Kehle. „Es tut mir leid, was da passiert ist.“ Sie blickte entschuldigend auf seine verletzte Braue.
Anstatt ihre Entschuldigung zu akzeptieren, schnaubte er missbilligend. „Du hast mir eine Flasche auf den Kopf gehauen, Saige. Da reicht ein lahmarschiges ‚Tut mir leid‘ nicht, glaube ich.“
Sie biss sich auf die Zunge, um nicht wieder Streit anzufangen, denn sie wollte mehr über ihn wissen – aber Quinn hatte selbst Fragen. „Was kannst du mir über Paul Templeton erzählen?“ Er nahm ihr das Bild wieder weg und steckte es zurück in seine Tasche.
Saige sagte der Name nichts. „Ich kenne niemanden, der Templeton heißt.“
„Er ist der Watchman, der auf dich aufpassen sollte“, erklärte er mit grimmigem Gesichtsausdruck. „Und ich wette, du hast das gewusst. Du musst eine Ahnung haben, was mit ihm passiert ist.“
Ein ungutes Gefühl kam in ihr auf. „Das weiß ich ganz ehrlich nicht. Vor ein paar Tagen schien er einfach verschwunden zu sein.“
„Verflucht“, murmelte er vor sich hin. Sie fragte sich, ob der vermisste Watchman ein Freund von Quinn war.
Merkwürdig, dass sie die Überwachung durch die Watchmen immer für selbstverständlich gehalten, aber gar nicht wirklich wahrgenommen hatte, bis dieser Templeton verschwand. Plötzlich fühlte sie sich allein und verängstigt, wie damals als Kind, als sämtliche Männer in ihrem Leben sich von ihr abwandten, einer nach dem anderen. Nachdem ihr Vater die Familie verlassen hatte, waren ihre Brüder für sie immer die ganze Welt gewesen, bevor auch sie sich von ihr zurückzogen. Ian war von zu Hause abgehauen, weil er mit Elainas Besessenheit nicht klarkam, und Gott mochte wissen, was Riley so aufgebracht hatte. Nachdem Ian weg war, hatte er sich verändert, und plötzlich standen sie einander nicht mehr nahe.
„Ich fing an, mir Sorgen zu machen, als ich seine Anwesenheit nicht mehr spüren konnte“, sagte sie, sich wieder auf Quinn konzentrierend. „In den letzten Tagen … bin ich vorsichtiger geworden, weil ich nicht wusste, was ich zu erwarten hatte.“
Lügnerin .
Nein, bin ich nicht, widersprach sie sich stumm selbst. Es war vielleicht nicht die ganze Wahrheit … aber doch ein Teil davon.
Eine dürre Wahrheit, die ihm kein bisschen helfen wird. Du musst ihm von dem Dark Marker erzählen!
So wie er sie ansah, konnte sie nicht sicher sein, ob er ihr die Geschichte abkaufte, aber er sagte nur: „Darüber können wir uns später unterhalten. Im Augenblick müssen wir zusehen, dass wir hier wegkommen. Ich habe in Sao Vicente ein Zimmer, da können wir für die Nacht unterschlüpfen.“
„Du hast immer noch nicht erklärt, was du hier überhaupt machst“, bohrte sie nach. Das Foto verriet ja bloß, dass Riley ihn tatsächlich gebeten hatte, sie zurück nach Colorado zu bringen. Über das Warum sagte es nichts.
„Wie schon gesagt, ich bin hier, um dich zurückzubringen. Vorzugweise ohne
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