Wenn das Herz im Kopf schlägt
das Gelb der Kuhblume. Auf hohen Stielen schwebt weißer Wiesenkerbel.
Heute hat er kein Auge dafür.
Damals sind sie sich uneins gewesen. Die Alte hat immer von Pacht geredet, aber er hat ihr deutlich gesagt, dass er bis an ihr Lebensende zahlt und dann alles ihm gehört.
Er stemmt seine kräftige Gestalt gegen die neue Böe und spießt seinen Stock in den Wind.
»Den Hof«, ist sie stur geblieben, »den Hof und das Ackerland im Westen, dafür gehe ich zum Notar. Aber keine Verträge über die Wiesen, den Wald und den Kotten.« Nicht mal ins Haus hat sie ihn gebeten. Wie einen Bittsteller hat sie ihn behandelt, auf ihre großbäuerliche Art. »Hab ja niemanden mehr, wirst wohl alles kriegen. Musst dich eben gedulden, bis ich nicht mehr bin.« Dann hat sie sich umgedreht und ist in ihren ärmlichen Kotten stolziert, als wäre es ein Herrenhaus.
Jetzt ist sie seit sechs Wochen schon nicht mehr, und er hat immer noch keine Nachricht. Kley, dieser eingebildete Winkeladvokat. Die Erbangelegenheit ist noch nicht abgeschlossen. Was soll denn da nicht abgeschlossen sein? Dieser kleine Wichtigtuer.
Abrupt bleibt er stehen. Wenn die Alte das der Kirche ...?
Er stützt sich schwer auf den Stock, atmet kurz und schnell. Siebzig hat er werden müssen. Siebzig Jahre, bis sie endlich ...!
Erst jetzt bemerkt er, dass er den Weg zum Kotten genommen hat. Es sind noch gut hundert Meter. Das Häuschen steht geduckt, lauert am Wegrand vor dem Eichenhain.
Er macht die Augen eng, schaut das Haus an, als sähe er einen Feind. Für einen Augenblick glaubt er, die Bewegung einer Gardine wahrzunehmen.
Was hat Klara gestern gesagt: »Der Pastor ist alle vierzehn Tage samstags bei ihr gewesen!«
Er richtet sich auf, bringt sein Gewicht vom Stock auf die Füße. Einen Augenblick zögert er noch, wagt es nicht, dem Feind den Rücken zuzukehren. Dann dreht er um. Mit eiligen Schritten läuft er den Weg zurück. Den Stock hebt er nur noch wenige Zentimeter vom Boden. Der Wind schiebt ihn jetzt, treibt zusätzlich zu Eile. Er hört das Rasseln in seiner Lunge und das Stakkato des Spazierstockes.
Er muss ins Dorf. Er muss es wissen.
- 5 -
Die kleine Kirche, früher mitten im Ort, steht abseits. Im Osten ist das Dorf Straßenzug um Straßenzug gewachsen. Wie ein riesiges Geschwür hängt es an dem alten Dorfkern. Gietmann hatte Glück gehabt. Seine Felder waren noch Bauland geworden, bevor dieser Naturschutzquatsch angefangen hatte. Genau wie die Felder der Alten. Aber das hatte die überhaupt nicht mitbekommen.
Lüders bleibt auf dem gepflasterten Vorhof stehen. Zwischen den ordentlich zurückgeschnittenen Rabatten verblühen hie und da Narzissen und Tulpen. Rechts neben der Kirche steht das rote Backsteinhaus mit Pfarramt und Pastorenwohnung. Er öffnet den unteren Knopf seines Lodenmantels und fingert ein Tuch aus seiner Hosentasche. Er lässt das gebügelte Quadrat zusammengefaltet, nimmt den Hut ab und wischt sich über das rote Gesicht und den kahlen Kopf.
Der Rudenau ist erst seit vier Jahren hier. Der weiß nichts von der ganzen Geschichte, von den Verträgen und wie unberechenbar die Alte war. Ihre eigene Enkelin hat die vor die Tür gesetzt, und wenn sie das Land der Kirche gestiftet hat, dann nur deswegen. Einen Platz im Himmelreich wollte sie sich schnell noch sichern. Und damit hat sie sich dann ein zweites Mal versündigt, hat gegen klare Vereinbarungen verstoßen. Der ahnungslose Pastor hat ihr dafür die Absolution erteilt.
Für einen Moment macht er seinen Rücken steif – sammelt sich, dann geht er zielstrebig den schmalen Pfad zum Pfarramt entlang und schellt.
Rudenau öffnet selbst. »Herr Lüders?« Mit schneller Hand schiebt er sein dunkles dichtes Haar, das vorne recht lang ist, von der Stirn in den Nacken. Eine Angewohnheit, die er auch während seiner Predigten nicht abstellen kann. Eine Geste, die Lüders weibisch findet und die schon für mancherlei Spekulationen am Stammtisch gut war.
»Ich wollte Sie mal kurz sprechen ... wegen der Behrens!« Er beobachtet Rudenau, versucht, in dessen Gesicht zu lesen.
Der Pastor geht einen Schritt zurück und macht die Türe frei.
Im Büro behält Lüders den Mantel an und setzt sich aufrecht auf die vordere Kante des geräumigen Sessels. Den Stock zwischen den Beinen, legt er die Hände übereinander auf dem Griff ab.
»Es ist – weil ich immer noch nichts gehört habe. Wegen dem Testament, meine ich ...« Wieder zieht er sein Taschentuch hervor und wischt sich
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