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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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nicht sein. Ludwig hat doch gesagt ... Er hat doch all die Kredite aufgenommen. Die Wiesen! Das Bauland! Sie hat es Ludwig immer und immer wieder gesagt. Der Behrenshof, das ist ein Unglückshof. Man wird nicht glücklich, wo andere ihr Unglück gefunden haben.
- 8 -
    Der Jägerzaun ist verwittert. Nur der Flieder steht hoch über den Beeten und versucht zu verschweigen, dass seit dem letzten Sommer hier niemand mehr Hand angelegt hat. Rabatten treiben unter braunem Laub mit neuem Lebenswillen, schieben verbissen junges Grün ins Licht. Huflattich, Vogel-Sternmiere und Brennnessel haben sich ausgebreitet und das Land annektiert.
    Das Gartentürchen ist mit einem porösen Einmachgummi verschlossen. Das war nicht ihre Art. Als sie das tat, muss ihr Stolz schon gelitten haben.
    Anna greift nach dem blassroten Ring, und er reißt, kaum dass sie ihn berührt. Das Tor bleibt trotzdem verschlossen. Mit dem Fuß schiebt sie es gegen die flache Laubschicht. Die Bewegung legt die unteren, feuchten Schichten frei, und ein würziger, modriger Duft steigt ihr in die Nase.
    Der Haustürschlüssel klebt in ihrer schweißnassen Hand. Sie war selten hier gewesen. Du siehst aus wie deine Mutter, hatte Oma gesagt, aus dir wird nie eine Behrens.
    Die Haustür öffnet sich erstaunlich leicht und schwingt sofort auf. Der kleine Flur ist nackt. An der Garderobe zur ihrer Linken hängt ein brauner Wintermantel. Auf der Ablage darüber thront ein Hut. In einer alten Milchkanne stehen Schirm und Stock bereit.
    Ein Hut, ein Stock, ein Re-gen-schirm
    Und vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran!
    An der Wand gegenüber hängt Jesus am Kreuz. Aus den Wunden in seinem ausgemergelten Körper lecken perfekt modellierte Blutstropfen. Sie schaut hinunter auf den Holzfußboden und ist für einen Augenblick erstaunt, keine rote Lache zu entdecken. Oben in der Aufhängung steckt ein Palmzweig. Er hat die Farbe des Kreuzes. Der Herr hat mir zwei meiner drei Söhne genommen, hatte Oma gesagt. Anna weiß, dass in jedem dieser Zimmer ein solches Kreuz hängt. Oma wollte den Sohn des Herrn leiden sehen. Egal in welchem Zimmer sie war. Überall sollte er unter dieser Dornenkrone seine letzten Atemzüge tun.
    Sie geht durch die übrigen Räume. Alle sind sorgfältig aufgeräumt und gelüftet, die Topfpflanzen gepflegt. Familie Lüders hat sich – in der Erwartung, bald Eigentümer zu sein – gekümmert. Durch den Wald sind sie gekommen, durch den Gemüsegarten, durch die Hintertür. Den Weg, den sie früher auch genommen hat.
    Die Möbel stammen aus den sechziger Jahren. Über Jahre dünn gewienertes Furnier und Resopal. Die großen, schweren Eichenmöbel sind im Behrenshof geblieben.
    Sie beginnt in der Küche, durchsucht die Schubladen und Schränke. Teller, Tassen, Einkaufstüten, Besteck, Einmachgläser, Rechnungen, Medikamente, Kerzenstummel und ein Schuhkarton, randvoll mit Bändern und Gummis. Sie durchsucht den Wohnzimmerschrank und die Anrichte. Das gute Porzellan, Vasen, Tortenheber, Kuchengabeln, Versicherungsunterlagen, Gebetbuch und zwei Keksdosen aus Blech. In der silbernen mit der Aufschrift
Aachener Printen
findet sie Fotos. In der bunten, mit kleinen Winterbildern verzierten findet sie Briefe.
    In schön geschwungener Schrift steht der Adressat auf dem vergilbten Papier.
    Margret Lech
.
    Die Möbel rücken enger zusammen, lassen ihr keinen Platz zum atmen. Margret! Mamas Schwester. Tante Margret! Sie hat immer behauptet, dass sie keinen Kontakt mehr zu den Behrens habe.
    Margret. Bei der sie groß geworden ist.
    Erst jetzt fällt ihr die Unlogik ihrer Gedanken auf: Die Briefe sind hier. Sie sind ordentlich mit einer Briefmarke versehen, ungeöffnet, nie abgeschickt.
    Sie trägt die Dose, die sie mit beiden Händen hält, als könne der Inhalt bei der geringsten Erschütterung zu Staub zerfallen, zum Esstisch und setzt sich auf einen der braun gepolsterten Stühle. Sie entnimmt den obersten Umschlag, und ihre Finger hinterlassen feuchtfettige Abdrücke auf dem Papier. Sie dreht den Brief um und sieht, was sie geahnt hat, was sie nicht denken wollte, was ihr zu unglaublich erschien.
Magdalena Behrens
steht da.
    Die Briefe sind fünfunddreißig Jahre alt.
    »Anna, da kommt Onkel Klaus. Willst du ihm diesen Brief für Tante Margret mitgeben?« Mama reicht ihr das blütenweiße Rechteck. Sie springt die Stufen vor der Haustür hinunter auf den Hof, in das sirrende Licht des Tages. Die Hitze greift nach ihren nackten Armen und Beinen. Zwischen

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