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Wenn das Herz im Kopf schlägt

Wenn das Herz im Kopf schlägt

Titel: Wenn das Herz im Kopf schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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und Papa seien krank. Du kannst jetzt nicht zu ihnen. Bald kannst du zurück. Sie hat es besser gewusst, die ganze Zeit. Dann, an einem warmen Sommertag, haben sie ihr die ganze Wahrheit gesagt. Papa und Mama sind tot. Sie hat geschrien, hat auf Karl eingeschlagen. Sie hatten sie belogen. Sie hatte gewusst, dass Mama tot war. Aber Papa? Vielleicht logen sie wieder? Vielleicht war Papa gar nicht tot.
    Erst mit achtzehn Jahren hat sie den Mut aufgebracht, sich einen Anwalt genommen und Einsicht in die Polizeiakte verlangt. Seite für Seite Lügen, nichts als Lügen. Sie ist zur Toilette gelaufen und hat sich übergeben. Wie betäubt ist sie dann nach Hause gegangen, und einige Tage später ist es zum ersten Mal passiert. Sie ist aufgewacht, hat am ganzen Körper gezittert und konnte nicht atmen. So als habe eine riesige Hand sie eisern im Griff und drücke zu. Ganz langsam, fester und fester. Depressionen, Angstneurose, psychotische Schübe. Nehmen Sie Drogen, Frau Behrens? Alles hat sie gehört. Alle haben sie sich erprobt.
    Wie ein Kind trottet sie neben Margret die Straße entlang Richtung Supermarkt.
    »Ist das nicht ein herrlicher Tag nach diesem langen Winter?«
    Anna starrt auf die Betonplatten des Bürgersteigs. Die sind schmutzig, grau. Im Sommer und im Winter.
    »Was meinst du, sollen wir mal nach neuen Sommersachen für dich schauen?«
    »Oh nein, Margret, bitte nicht heute.« Ihr wird schwindlig. Sie hält sich an einer Straßenlaterne fest. Straßenlaternen sind gut. Straßenlaternen stehen einfach da und geben einem Halt.
    Margret dreht sich nach ihr um. »Wir müssen das nicht heute machen, beruhige dich.«
    Wie soll sie das erklären? Dieser Unsinn, der ihr widerfährt. Angstschweiß, nur weil sie spürt, dass jemand sie ansieht. Kein Wort mehr herausbringen, wenn sie an der Käsetheke mit einer Verkäuferin sprechen soll. An der Kasse mit zitternden Fingern das Geld aus der Börse nehmen. Es gibt keinen Grund. Das ist das Schrecklichste daran. Es gibt überhaupt keinen Grund!
    Gegen vier Uhr, Margret hat noch eine Maschine gewaschen und eine Suppe für drei Tage gekocht, geht sie heim.
    Anna legt sich auf das Sofa und starrt in die aufgeräumte Küche. Für immer könnte sie so liegen bleiben. Das Telefon weckt sie etwa eine Stunde später.
    Das Telefon. Der Verlag oder ihre Tochter. Vielleicht hat Margret etwas vergessen. Sie geht zum Schreibtisch und nimmt den Hörer ab. »Behrens.«
    »Kriminalpolizei Kleve, ich verbinde!«
    Anna wankt. Sie greift zur Lehne des Schreibtischstuhls, dreht ihn um und lässt sich hineinfallen. Ihr Herz schlägt im Kopf. Wenn ihr Herz im Kopf schlägt, kann sie nicht denken.
    »Böhm! Spreche ich mit Frau Anna Behrens?«
    »Ja.«
    »Frau Behrens, wir ermitteln in einer Mordsache. Das Opfer ist Werner Gietmann. Sagt Ihnen der Name etwas?«
    Anna sucht Halt an der Tischplatte.
    »Frau Behrens, sind Sie noch da?«
    Sie schnappt nach Luft. »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich würde Sie gerne besuchen und mich mit Ihnen unterhalten.«
    Sie spürt, wie die Panik sich breit macht. Ihre Hand verkrampft sich um den Hörer. Ihr Nacken versteift sich, die Muskeln beginnen zu vibrieren. »Aber ... Ich weiß nichts!«
    Ihr Kopf wird zentnerschwer. Sie muss ihn oben behalten. Er darf nicht fallen. Wenn er fällt, fällt sie. Sie schluckt.
    »Frau Behrens, haben Sie morgen, sagen wir gegen elf Uhr, Zeit?«
    Die Stimme ist freundlich. Gietmann ist tot. Warum kümmert sich die Polizei um das Sterben alter Männer?
    »Ja!«
    »Gut, dann bin ich morgen gegen elf Uhr bei Ihnen.«
    Am anderen Ende wird aufgelegt. Sie hält den Hörer noch lange in der Hand und starrt ihn an.
    Gietmann ist tot. In ihren Ohren beginnt es zu summen.
    Scheiße, die blutet wie verrückt!
    Los, weg hier!
- 33 -
    Vom Marktplatz aus erkennt man im Präsidium nur noch wenige erleuchtete Fenster. Die Wärme ist zu schnell gekommen und nun, in der frühen Dunkelheit des späten Nachmittags, zieht ein Gewitter auf. Noch hört man nur fernes Grummeln, aber es kommt näher, schleicht sich über die offenen Felder und Wiesen an. Keine Berge, die Einhalt gebieten, weit und breit.
    Van Oss, Steeg und Böhm gehen zum dritten Mal die vierunddreißig Jahre alte Akte durch.
    Steeg lehnt sich im Stuhl zurück. Er hat sein Jackett ausgezogen, und sein linker Unterschenkel ruht auf seinem rechten Oberschenkel. Er trommelt nervös auf den Absatz seines Schuhes. »Ja, natürlich hätten die weiter ermitteln müssen, aber damals hatten

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