Wenn das Herz im Kopf schlägt
des Kopfhörers verläuft unter ihrem Kinn. Mit dem rechten Fuß bedient sie den Recorder wie eine Nähmaschine. Immer wieder hebt sie den Blick über den Bildschirm und sieht kurz zu ihm auf, so als wolle sie sich vergewissern, dass er nicht davonläuft.
Dann ertönt ein feiner, melodischer Gong. Sie nimmt die Kopfhörer ab und steht auf. »Wenn Sie mir dann folgen wollen.«
Einen geräumigen Flur entlang, klopft sie an eine Tür zu ihrer Linken und lässt ihn an sich vorbei ins Zimmer treten.
Der kleine Mann hinter dem großen Schreibtisch steht auf und hält ihm die Hand entgegen. »Herr Böhm! Mein Name ist Kley.«
Die Männer drücken sich kurz die Hände.
»Aber bitte! Setzen Sie sich doch!«
Böhm setzt sich auf einen breiten gepolsterten Stuhl mit Armlehnen. Alles in diesem Büro scheint aus Mahagoni zu bestehen. Auch die Haut des Notars hat diesen braunroten Farbton. Er ist weit über das übliche Pensionsalter hinaus. Seine Augen mustern Böhm mit konzentrierter Aufmerksamkeit.
»Wir ermitteln im Mordfall Gietmann. Sie haben sicher bereits darüber gelesen.«
Das hagere Gesicht unter dem vollen, weißen Haar zeigt keinerlei Regung.
»Und in diesem Zusammenhang interessiere ich mich für die Erbschaftsangelegenheit Behrens.«
Kleys buschige Augenbrauen wandern für einen Augenblick in die Höhe. Tiefe Falten ziehen sich über die Stirn, wie Pflugrinnen in frischer Erde.
Böhm wartet.
Der alte Mann nickt entschieden. »Daran erinnere ich mich gut! Ich habe den Vertrag nicht gerne beglaubigt.« Er hebt die Hand, als wolle er sein Gegenüber zum Schweigen bringen. »Warten Sie! Bevor wir weiterreden, lasse ich mir die Unterlagen bringen. Nicht, dass ich was Falsches erzähle. Das ist immerhin über dreißig Jahre her!«
Er greift zum Telefon und gibt kurze Anweisungen. »Ludwig Lüders hat den Hof übernommen. Johann Behrens war noch nicht unter der Erde, da hat er mich bereits um einen Termin gebeten. Auf dem Friedhof!« Seine Empörung ist deutlich zu hören. »Ich habe ihm erklärt, dass es wohl Sache von Frau Behrens sei, um einen solchen Termin zu bitten.«
Die Sekretärin bringt die Unterlagen. Kley vertieft sich. »Ja«, er sieht Böhm an und nickt resigniert, »er hat für den Hof und dreißig Hektar Ackerland fünfzigtausend D-Mark bezahlt und eine Rente von sechshundert D-Mark monatlich.«
»Fünfzigtausend Mark?« Böhm traut seinen Ohren nicht.
»Ja! Natürlich muss man berücksichtigen, dass das Ende der sechziger Jahre viel Geld war, aber es war schon damals deutlich zu wenig.« Er schiebt die Akte von sich weg zur Mitte des Tisches. »Ich habe mit Johanna Behrens geredet, habe ihr gesagt, sie solle inserieren, aber sie wollte es so.« Er fährt sich mit seiner schmalen, von Altersflecken übersäten Hand über den Mund. »Ich weiß, dass ich das nicht sagen sollte, aber damals ... zuerst habe ich gedacht, vielleicht ist es eine Sympathieentscheidung, sie sind immerhin seit Jahren Nachbarn. Aber als sie hier vor mir saßen, da habe ich gedacht: Da ist was anderes mit im Spiel!«
»Erpressung?« Böhms Stimme verrät nichts von seiner Aufregung.
»Wenn es irgendwo auch nur den kleinsten Hinweis gegeben hätte, dann hätte ich diesen Vertrag verhindert, das können Sie mir glauben. Aber es gab nichts!« Er starrt auf den Aktendeckel. Unerwartet energisch beginnt er das Papier mit dem Zeigefinger zu traktieren. »Und dann, vor gut einem Jahr, als die Johanna Behrens gestorben ist, hat er mich mehrmals angerufen. Was denn mit dem Testament sei, wann das denn endlich eröffnet würde! Er war offensichtlich der Meinung, dass jetzt auch die Kate, die Wiesen und der kleine Eichenwald seins wären. Aber da hatte er sich geirrt.« Das sagt er nicht ohne Stolz. Das sagt er, als habe er es persönlich verhindert.
Böhm greift in die Gesäßtasche und zieht ein kleines Notizbuch hervor. »Erbin war Frau Anna Behrens. Können Sie mir sagen, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie zu der alten Frau Behrens stand und wo ich sie finden kann?«
Kley lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Anna Behrens ist die Enkelin. Sie ist die Tochter von Johann und Magdalena Behrens. Vor einem Jahr war sie hier und hat die Erbschaftspapiere gezeichnet. Sie lebt in Köln und wollte wohl nicht hierher ziehen. Verstehen kann man das ja!« Kley schlägt den Aktendeckel wieder auf und diktiert Böhm Adresse und Telefonnummer von Anna Behrens.
Böhm steht auf, steckt das Notizbuch in die Hosentasche zurück
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