Wenn das Herz im Kopf schlägt
Tischkante ab und steht auf. »Ich brauche einen Schnaps. Wollen Sie auch einen?«
»Nein danke.«
Als sie hinter der Theke verschwindet, sieht er Lena Koberg zu, wie sie einen Turm von sechs Stühlen durch den Saal trägt und verteilt.
Ruth Holter kippt sich mit routiniert schneller Bewegung einen Schnaps hinunter und kommt zum Tisch zurück. Wieder stemmt sie ihre knochigen Fäuste in die Hüften. »Was hat eigentlich der Grabstein von Magdalena Behrens mit Gietmann und Lüders zu tun?«
Böhm deutet auf den Stuhl. »Bitte setzen Sie sich doch wieder.«
Sie zögert. Soweit kommt das, dass der mir in meinem eigenen Lokal einen Platz anbieten darf. Demonstrativ bleibt sie stehen.
»Für uns ist das interessant, weil das Todesdatum nicht stimmt.«
Die Stille zieht sich über mehrere Sekunden.
Ruth Holter zieht den Stuhl zurück und setzt sich. »Was soll das heißen?« Ihre Stimme vibriert.
»Magdalena Behrens ist nicht am 13. April, sondern am 14. April gestorben.«
Sie starrt ihn an, und er sieht, wie es in ihrem Kopf arbeitet. Sie sackt in sich zusammen. Ihre feuchten Augen sehen ihn ungläubig an.
»Frau Holter, ich habe den Eindruck, dass Sie nicht die ganze Wahrheit kennen!«
Sie saugt Luft durch die Nase ein. Dann richtet sie sich auf. »Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß. Mit dem Datum wird Jansen sich vertan haben. So was kommt vor!«
»Frau Holter, Magdalena Behrens ist vergewaltigt worden. Johann Behrens hat zugegeben, dass er sie geschlagen hat und damit wahrscheinlich ihren Tod verursacht hat. Die Vergewaltigung hat er bis zum Schluss bestritten.«
Sie hat die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und reibt die Handflächen gegeneinander. Sie hebt den Kopf und sieht ihn entschlossen an. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Bitte gehen Sie jetzt!«
Böhm steht auf. »Ich komme wieder!«
- 47 -
Er steht an der Friedhofsmauer und wartet auf van Oss. Nur vereinzelt sieht er Menschen auf der Straße. In Eile. Huschend. Man hat zu tun. Autofahrer verirren sich hier nur selten hin. Links, am Dorf vorbei, verläuft die Landstraße nach Holland mit ihrem steten Rauschen.
Ruth Holter, da war er sich sicher, kannte nicht die ganze Wahrheit. Sie war belogen worden. All die Jahre belogen worden. Das hatte er ihr angesehen. Und auch, dass sie es begriffen hatte. Sie würde den Stammtischbrüdern unangenehme Fragen stellen. Das konnte ihm nur recht sein.
Was war damals wirklich passiert? Der Todestag von Magdalena Behrens war nicht versehentlich falsch. Auch der Mörder wusste um dieses falsche Datum.
Du hast es mit Gietmanns Todesanzeige genauso gemacht, nicht wahr? Du hattest es genau so geplant. Du konntest ihn nur weit vor Mitternacht zu einem Treffen bewegen, darum hat er so lange ausbluten müssen. Er durfte nicht am Freitag sterben, denn dann hätte das Todesdatum in der Zeitung gepasst, nicht wahr? Er durfte erst am Samstag sterben. Das Datum! Darum ist es dir gegangen, nicht wahr?
Hat Lüders Magdalena Behrens vergewaltigt? Hast du ihm deshalb die Eier abgeschnitten? Wann hast du den Platz vorbereitet? Wie hast du es geschafft, dass niemand es bemerkt hat?
Er lehnt sich an die Friedhofsmauer.
Wo bleibt denn van Oss? Wäre doch hoch interessant zu hören, wer dieses Grab pflegt.
Das Blassgrau des Himmels scheint sich in den schmalen Straßen auszubreiten, füllt jeden Quadratmeter unbebaute Erde.
Wie Inseln liegen diese kleinen, alten Dörfer in der flachen Weite. Ein schutzloses Dasein, dem Wind, den Unwettern und den Feinden über Jahrhunderte ausgeliefert. Keine Wälle, keine Mauern! Nur der Nebel kam ihnen ab und an zu Hilfe und versteckte sie in dichtem Grau. Sie hatten gelernt zu flüstern und Fremden zu misstrauen. Aber der Kokon wurde brüchig, die uralten Regeln verloren an Gewicht.
Ruth Holters Solidarität beruhte auf Teilwahrheiten und Lügen.
Er greift in seine Jackentasche und liest noch einmal Brigittes SMS. Sollte er zurückschreiben und fragen, wann genau sie zu Hause wäre?
Sie sind zu dicht dran. Wenn sich jetzt ein Hinweis ergibt, kann er wohl kaum gehen, um zu Hause seine Frau in Empfang zu nehmen. Außerdem will er, wenn er nach Hause fährt, nicht sofort wieder wegmüssen. Er will Zeit haben, um zu begreifen, was eigentlich los ist. Zeit haben, um ihr zu sagen, dass er sie nicht verlieren will.
Van Oss kommt von der Kirche aus auf ihn zu.
Böhm geht ihm entgegen. »Und?«
Van Oss schüttelt den Kopf. »Also, Mynheer Jansen ist hier, wie sagt man
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