Wenn Das Leben Dir Eine Zitrone Gibt, Frag Nach Salz Und Tequila
Maschinchen: Wenn Dinge nicht mehr gebraucht werden, werden sie abgestoßen. Das heißt in meinem Fall, es wurde noch schlimmer: Nach drei Wochen hatte ich so was wie Leprafüße. Die Hornhaut schälte sich trocken von meinen Füßen, als würde man einem Elefanten die Haut abpeelen. Freibad? Ein absolutes No-Go! Aber ich bin ja ein geduldiger Mensch, also wartete ich. Und bekam – juchu! – noch eine Zitrone.
Was unter der Hornschicht zum Vorschein kam, ging nämlich noch weniger: Ich bekam hypersensible »Tatarfüßchen«. Fast durchsichtig, ganz rosa und höllisch empfindlich. Ich konnte nicht barfuß laufen. Ich konnte nicht in die Sonne. Wenn ich also nicht mit dicken Socken schwimmen und auf der Wiese sitzen wollte – ich hörte schon die Sprüche der zartfühlenden Mit-Teenies: »Was is’n mit der Sonya, hat die Fußpilz?« –, war die Freibad-Idee schon vor der Umsetzung beerdigt. Was hab ich also gemacht? Ich habe mich in der Bibliothek mit dicken Wälzern eingedeckt und in eine Fantasiewelt geflüchtet. Heute wäre ich vielleicht spiel- oder internetsüchtig geworden – damals wurde ich lesesüchtig. Es heißt ja auch nicht umsonst: Lese stoff . Meine Realität fand ich nämlich, sorry, scheiße. Ich hatte zwar Freizeit, konnte aber nix damit anfangen. Und meine Zukunftsperspektive beschränkte sich auf den Schulabschluss in ferner Zukunft. Super, ein toller Trost mit 14! Meine Lesesucht kannte keine Grenzen, ich habe nonstop gelesen, sogar in der Schule unter der Bank.
Bis zu dem Tag, als mein eigen Fleisch und Blut, nämlich meine Mama, mir die nächste Zitrusfrucht servierte: Sie nahm mir den Bibliotheksausweis weg. »Sonya, es wäre prima, wenn du mal schlafen würdest – und wenn deine Lehrer mich nicht anrufen würden, weil du im Unterricht schmökerst.«
Jetzt war ich also obendrein noch auf Entzug – das Leben konnte wirklich grausam sein. Doch dann, nach gut einem Jahr Martyrium, bekam ich statt der Zitronen unerwartet eine neue Lieferung mit schmackhafteren Ingredienzen …
Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
ALTÜBERLIEFERTE POESIEALBUMWEISHEIT
BYE, BYE, TSCHAIKOWSKY – HELLO, TECHNO!
Man schrieb das Jahr 1988, und ich schleppte mich jeden Tag in etwa so »energetisch« ins Gymnasium, als würde ich mir zum Frühstück kein Nutellabrötchen, sondern eine Schachtel Tranquilizer einverleiben. Doch eines Morgens verkündete ausgerechnet unser Klassenlehrer Herr Kaufiger eine frohe Botschaft: »Ihr solltet anfangen, euch Gedanken über eure Berufswünsche zu machen – Ende des Halbjahres steht das Praktikum auf dem Programm!«
Juhu, für alle Schüler der neunten Klassen war ein Berufspraktikum Pflicht. Endlich ein Lichtblick! Ich frohlockte: drei Wochen »wahres Leben« testen – und meinem Peiniger Mehmet entkommen, der keine Gelegenheit ausließ, mich für meine «Rheuma-Kniegelenke« zu piesacken. Das war das Einzige, was an meinen inzwischen ins Endlose wachsenden Beinen momentan dicker wurde.
Die anderen aus der Klasse rissen sich ab sofort um Praktikumsplätze in irgendwelchen Büros, in Banken, Werbeagenturen oder in Kanzleien. Ich dagegen zog los, um mir etwas zu suchen, was meinen Vorstellungen vom Traumjob am nächsten kam. Das hatte ein paar Anforderungen zu erfüllen. Erstens: Der Job musste ohne Schreibtisch auskommen. Zweitens: Alles, was vor neun Uhr morgens anfing, war tabu. Drittens: Die Arbeitsatmosphäre musste locker sein. Mit diesem knallharten Anforderungsprofil an meinen zukünftigen »Arbeitgeber« landete ich nirgendwo anders als im hippsten Jeansladen Frankfurts – mitten in der Innenstadt. Coole Musik, entspannte Atmosphäre – und erst ab 10 Uhr geöffnet. Besser ging’s nicht.
Tschüss, Schüchternheit
Meine Kolleginnen im »Jet Set« (der Schuppen hieß wirklich so!) waren, wie ich schnell merkte, die coolsten Mädels Frankfurts. Alexia und Dana waren ein bisschen älter als ich: unglaublich erwachsene 16. Und sie machten selbstverständlich kein popliges Praktikum, sondern jobbten nachmittags nach der Schule im Laden. Gegen Bezahlung. Sie verkörperten das, was für mich heute noch ein Ideal ist: Sie verdienten ihr eigenes Geld, waren selbstständig, unabhängig – und außerdem lebensfroh und feierfreudig. Plötzlich hatte ich Vorbilder! Genau das befreite mich endlich endgültig aus meinem alten Ballettmädchen-Kokon, der mir schon lange nicht mehr
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