Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
solange der Krieg tobte, würde sich das auch nicht ändern. Er hoffte, dass ihre Crew noch hier war und sie nicht zum Sterben ausgesetzte hatte. Wer wusste schon, was sie vielleicht verbrochen hatte? Er warf noch einen Blick in ihr schmales Gesicht und lachte spöttisch. Wie eine Mörderin sah sie nun wirklich nicht aus.
Im Dickicht entdeckte er eine geschlagene Schneise, die anders war, als er sie kannte. Die Spanier hinterließen andere Wunden im Dschungel, diese hier waren zaghaft geschlagen worden, als hätte jemand gefürchtet, die Natur könnte zurückschlagen. Wenn hier nicht noch jemand herumlief, mussten sie von der jungen Frau stammen, dachte er sich.
Tyler entdeckte den Trinkbeutel an ihrem Gürtel, griff danach und schraubte ihn auf. Solange sie bewusstlos war, würde sie kein Wasser brauchen, und wenn er Glück hatte, fand er das Schiff bevor sie wieder aufwachte. Er wusste noch nicht, wie er den Kapitän überzeugen sollte, ihn mitzunehmen, aber etwas würde ihm schon einfallen. Sein Blick fiel auf ihren Säbel.
Oh ja, ihm würde etwas einfallen.
Er folgte ihren Spuren tiefer in den Dschungel, Richtung Küste, dorthin, wo keine Menschen lebten, weil der Urwald zu stark war und noch die Kraft hatte, sich zu wehren. Schreie erfüllten die Luft, schrill und lang, und es klang anders, als Tyler es gewohnt war. Ein Tier war in Todesangst und wenn er Glück hatte, bedeutete das, dass die Piraten in der Nähe waren.
Piraten. Er schluckte schwer. Hoffentlich verriet ihn sein sehnsüchtiges Herz nicht an ein Haufen Monster, die nicht besser waren als die Spanier – und hier konnte er sich immerhin vor ihnen verstecken, im offenen Meer nicht.
Eine Zeitlang folgte er den Spuren, ohne den Schreien näher zu kommen, doch irgendwann nahm er noch etwas anderes außer den panischen, schrillen Tierrufen wahr: Lachen. Die Geräusche wurden lauter, er hörte Stimmen, die rauer waren als die der Spanier, härter und vom Salzwasser zerfressen. Es war ihm egal, er konnte sich nicht erlauben, wählerisch zu sein, nicht, wenn er endlich weg wollte, wenn er dieser grünen Hölle entkommen wollte. Tyler ahnte, wo die Piraten waren. Wenn sie jagen wollten – und ganz danach hörten sich die panischen Tierschreie an – gab es nur einen Ort, der dafür geeignet war: die Quelle. Er lief schneller, stolperte mit seinen nackten Füßen über den unebenen Boden und biss die Zähne zusammen, wenn sich etwas Spitzes in seine Zehen bohrte. Er war den Untergrund gewohnt, aber normalerweise rannte er auch nicht blind drauflos.
Die Spanier mussten sie doch hören, warum waren sie nicht vorsichtiger? Dumme, naive Piraten. Sie konnten von Glück reden, wenn sie diesen Tag überlebten. Wenn er die Frau nicht festhalten müsste, hätte er jetzt die Hände zu Fäusten geballt und laut geflucht, stattdessen stieß er einfach nur wüste Beschimpfungen hervor.
Er stolperte aus dem Dickicht heraus auf die Lichtung, erstarrte, als er die Männer sah und fiel über eine Wurzel. Instinktiv warf Tyler sich herum und prallte mit dem Rücken auf den bedeckten Boden, die Luft wich mit einem Zischen aus seinen Lungen, als er das Gewicht der Piratenfrau auf sich spürte.
„Was zum –!“, polterte einer von ihnen, ein hünenhafter Mann mit einer Narbe im Gesicht, und richtete seine Waffe auf Tyler während er langsam näher kam. „Was machst du mit dem Mädchen? Lass sie sofort los!“
Mädchen. So konnte man sie wahrlich nicht mehr nennen. „Ich…“, ächzte Tyler und schob sie von seiner Brust, um sich aufsetzen zu können. Sie stöhnte leise und ihre Augenlider zuckten heftig, als er sie berührte.
„Das Mädchen ist Teil meiner Crew, also entweder lässt du dir schnell eine gute Ausrede einfallen oder bist verschwunden, bevor du in Reichweite meiner Waffe kommst“, drohte der Narbige. Seine wasserblauen Augen wirkten zornig, doch Tyler sah darin noch etwas anderes. Etwas, das ihn vielleicht retten konnte. Neugierde.
„Ich habe sie gerettet“, erwiderte er mit kräftiger Stimme. „Vor den Spaniern.“
Der Narbige hielt inne. „Soso, gerettet hast du sie also? Und wer sagt mir, dass du keiner von denen bist, um uns auszuspionieren? Seltsam genug siehst du ja aus.“
Tyler schnaubte verächtlich und richtete sich auf. „Ich bin Brite, genau wie Ihr. Und ich hasse die Spanier, wahrscheinlich noch mehr als ihr.“
„Na sieh einer an. Ein kleiner Rebell“, höhnte ein Anderer, Kleinerer und trat mit gezogener Waffe auf ihn zu.
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