Wenn der Acker brennt
Er ist breit genug, und es sind nur ein paar Meter.«
»Ich glaube nicht, dass ich das schaffe.«
»Es ist ganz leicht.«
»Scheiße«, flüsterte Christine, als sie noch einmal nach unten in die Klamm schaute. Es war nicht das Wasser, das ihr Angst machte, es waren die Felsen, die in der Dunkelheit bedrohlich aussahen.
»Zieh deine Schuhe aus, dann hast du mehr Gefühl«, schlug Rick vor.
Sie schlüpfte aus ihren schwarzen Ballerinas und setzte einen Fuß auf den Baumstamm. Das feuchte Holz war weich und angenehm glatt, aber nicht so rutschig, wie sie es in der Nähe des Wassers erwartet hatte.
»Konzentriere dich auf den Stamm und zähle deine Schritte!«, schrie Rick, um das Getöse des Falls zu übertönen.
»Eins, zwei, drei, vier.« Weiter kam sie nicht. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, in die Tiefe zu schauen. Ein Fehler, wie ihr sogleich klar wurde. Ihr wurde schwindlig, alles um sie herum drehte sich.
»Ruhig atmen, sieh auf den Baumstamm und geh weiter!« Rick stand hinter ihr, umfasste ihre Taille und gab ihr Halt. Sie fand das Gleichgewicht wieder.
»Fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn.« Sie hatte es geschafft, sie war auf der anderen Seite der Klamm angelangt.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Höhenangst hast?«, fragte Rick, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte.
»Schon okay, es ist ja gut gegangen. Dank deines Einsatzes. Sobald ich den Kontakt zu festem Boden verliere, wird mir leider meistens schwindlig«, gestand sie ihm, während sie ihre Schuhe wieder anzog.
»Was ist mit Fliegen?«
»Kein Problem, da tue ich so, als wäre der Flugzeugboden die Erde. Wie weit ist es noch bis zur Hütte?«
»Etwa eine Stunde.«
»Dann weiter.« Sie wollte endlich ankommen.
Auf dieser Seite der Klamm floss das Wasser in Rinnsalen an den Felsen hinunter. Es war angenehm kühl. Sie hielten Hände und Arme darunter, klatschten es sich ins Gesicht. Der Anstieg zur Hütte führte durch den Wald, und das Mondlicht drang kaum noch zu ihnen durch. Sie mussten hellwach sein, um nicht vom Weg abzukommen.
Manchmal liefen sie dicht an steil abfallenden Hängen entlang, kletterten über Felsen, die ihnen den Anstieg versperrten. Immer wieder mussten sie die Zuflüsse des Wildbachs überqueren, der sich plätschernd und gluckernd seinen Weg zur Klamm bahnte. Es war eine geheimnisvolle märchenhafte Landschaft, und Christine hätte sich nicht gewundert, wenn ein Berggeist sich vor ihnen materialisiert hätte.
26
Franz Burger konnte nicht schlafen. Der Mond schien direkt in sein Schlafzimmerfenster, selbst wenn er die Augen schloss, erschien ihm das Zimmer taghell. Klara, seine Frau, hasste es, in abgedunkelten Räumen zu schlafen. Sie wollte die Berge sehen, wenn sie morgens aufwachte, und er respektierte diesen Wunsch.
Burger hatte die Akte zum Scheunenbrand von 1982 noch einmal durchgelesen. Die Öllampe, die für den Brand verantwortlich war, hatte neben dem Scheunentor gestanden, das war unstrittig. Eine zweite Lampe hatte man im Keller neben Amatas Leiche gefunden. Sie hatte nichts mit dem Brand zu tun gehabt. In der Akte war er auf eine handschriftliche Bemerkung des Kommissars aus der Kreisstadt gestoßen, der den Scheunenbrand untersucht hatte.
»Der kleine Linden behauptet, einen Geldsack im Keller gesehen zu haben. Angeblich wurde er von einem unbekannten Mann fortgetragen, kurz bevor in der Scheune das Feuer ausbrach.«
Alle waren davon ausgegangen, dass es sich bei den Beobachtungen um die Phantasie eines unter Schock stehenden Kindes handelte. Aber was, wenn Rick die Wahrheit gesagt hatte? Der Überfall auf den Geldtransporter hatte genau einen Tag vor dem Scheunenbrand stattgefunden. Vielleicht hatte sich der dritte Täter, der mit der Beute entkommen war, in der Scheune versteckt? Vielleicht war er der Mann gewesen, den Rick gesehen hatte? Jeremias kannte Ricks Aussage, die Möglichkeit bestand, dass sie auch ihm in der Zwischenzeit nicht mehr ganz so absurd vorkam. Schwabes Entlassung hatte vermutlich beide dazu gebracht, sich wieder mit der Geschichte zu befassen.
Burger konnte sich noch gut an den Überfall auf den Geldtransporter erinnern. Er war ein junger Polizist gewesen, erst ein paar Monate mit seiner Ausbildung fertig, und wollte Erfahrungen in der Großstadt sammeln. Er hatte eng mit den Leuten von der Spurensicherung zusammengearbeitet, die den Tatort untersuchten.
Ein Zeuge sagte aus, dass die beiden Festgenommenen das erbeutete Geld in einen großen
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