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Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Titel: Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Sinhuber (Hrsg)
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nur ein Motorrad befinden konnte – oder ein Stier. Das Ding stand also vier Tage da herum und der Junge, der uns täglich besuchte, tat so, als würde er überhaupt nichts sehen. Ich fand das sehr taktvoll. Er wollte wohl dem Alten die Freude nicht nehmen.
    Am Morgen des 24. wurde das Ungeheuer unter großen Schwierigkeiten durch die zu kleinen Türen in das zu kleine Wohnzimmer geholt und an den für dieses Zimmer zu großen Baum gelehnt. Man hätte ja auch sagen können: »Axel, draußen ist etwas für dich.« Aber nein, es mußte unter den Baum. Wegen der Feierlichkeit. Ich muß den Leser dahingehend orientieren, daß ohne eine gewisse Feierlichkeit dieses Fest nicht hätte ablaufen können, denn wir erwarteten Besuch. Es handelte sich, wie so oft bei Weihnachten, um ein Familientreffen.
    Wir erwarteten Barbaras Mutter, Barbaras Vater und Barbaras Tante. Die Tante war schon über neunzig, aber auch die anderen beiden waren, wenn schon nicht an Jahren, so doch, was Erziehung und Weltanschauung betraf, aus dem vorigen Jahrhundert. Sie hatten bis kurz vor dem Zusammenbruch 1945 in Jugoslawien gelebt, ihre Vorfahren waren mit Prinz Eugen eingewandert und sie selbst irrsinnig stolz darauf, als Banaterdeutsche ihr Deutschtum zweihundert Jahre lang erhalten zu haben – also genau das getan zu haben, was die Deutschen anderen Völkern, die bei ihnen leben, vorwerfen, den Türken zum Beispiel. Als alles in Scherben ging 1945, waren sie heim zu den Ihren geeilt und wunderten sich, daß sie als »Rucksackdeutsche« nicht mit der Begeisterung aufgenommen wurden, die sie erwartet hatten. Sie hatten ihre Heimat verloren und eigentlich eine neue nicht gefunden, waren entwurzelt und verschüchtert durch den Empfang, den sie sich anders vorgestellt hatten. Es war für sie schwer, sich im rauhen Norden zurechtzufinden, um so mehr hingen sie an ihren althergebrachten Gebräuchen. Und da gehörte Weihnachten und zwar in der Form, wie sie es zu feiern gewöhnt waren, zu den höchsten Gütern. Um so höher mußte ich es bewerten, daß Barbaras Mutter einen Tag vor Weihnachten sagte: »Kinder, wenn der Junge ein Motorrad bekommt, dann will er es auch ausprobieren, also solltet ihr die Bescherung so früh machen, daß er gegebenenfalls nicht in die Dunkelheit kommt.« Das leuchtete uns ein. Also wurde die Bescherung auf den Mittag verlegt. Das war eine große Konzession von seiten der Verwandtschaft, denn der Lichterbaum bei Sonnenschein nimmt viel von der Stimmung. Fensterläden hatten wir nicht, nur einen Vorhang, der nicht viel nützte, aber durch die Tatsache, daß der Baum direkt vor ihm stand, die Brandgefahr enorm erhöhte. Also, Mittag war herangekommen, Axel war schon da, das Motorrad auch. Es war so halb in den Baum geschoben und noch bedeckt. Sah idiotisch aus! Die Situation war überhaupt nicht feierlich, da klingelte es. Ich weiß nicht, wie sie es machten, aber die drei vor der Tür brachten es fertig, daß sogar die Klingel einen feierlichen Klang bekam. Barbara beeilte sich, die Kerzen anzuzünden, und ich ging zur Tür. Sie standen draußen, alle drei, ganz in schwarz, um sich herum eine Aura von Feierlichkeit. Ein unvorbereiteter Beobachter hätte die Gruppe leicht für ein Beerdigungsunternehmen halten können. Sie betraten das Wohnzimmer, beinah hätte ich gesagt »auf Zehenspitzen«. Mit Baum und Motorrad war dieses eigentlich bereits voll, aber was tut man nicht alles, wenn das Christkind kommt. Sie setzten sich also eng zusammengedrückt in die Ecke, sahen den Baum und machten große Kinderaugen. Es war rührend. Dabei war es taghell, und die Lichter kamen überhaupt nicht zur Geltung. Von Stimmung war keine Rede, aber das haben sie nicht gemerkt, für sie war Weihnachten und Schluß! Sie waren entschlossen, sich von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Ich glaubte, die Pause der Ergriffenheit nun lange genug eingehalten zu haben und wollte mich gerade daranmachen, dem Jungen nun endlich zu seinem Motorrad zu verhelfen, da tönte eine zittrige neunzigjährige Stimme noch ein bißchen zaghaft durch den taghellen Raum: »Stille Nacht, heilige Nacht«. Bei »Einsam wacht« fiel Barbaras Mutter ein, und bei »Nur das traute hochheilige Paar« war der Bariton des Vaters hinzugekommen. Ich blickte etwas irritiert zu Barbara und ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht nahe daran war, in den Gesang einzustimmen.
    Ich werde es nie erfahren, denn dazu kam es nicht. Kam es deshalb nicht, weil an der Stelle »Holder

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