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Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Titel: Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Sinhuber (Hrsg)
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Knabe im lockigen Haar« ein ohrenbetäubendes Motorengeräusch den Raum erfüllte. Wir hatten, gefangengenommen von der musikalischen Darbietung, ganz den Jungen vergessen. Der hatte, bar jeden musikalischen Feingefühls und rein technisch interessiert, kurzerhand die Decke, die ihn seit drei Tagen nervte, weggezogen, war aufgestiegen und auf den Anlasser getreten, wozu dieser ja schließlich auch da war. Der Motor war offenbar in Ordnung, was mich sehr beruhigte. Aber immerhin warf ich Axel einen strafenden Blick zu und schüttelte den Kopf. Dieses rügende Verhalten meinerseits blieb leider unbeachtet, denn der holde Knabe prüfte gerade mit einem fachmännischen Blick über die Schulter, ob auch der blaue Dampf richtig aus dem Auspuff käme. Er kam! Bei der Wiederholung von »Schlaf in himmlischer Ruh« war von Axel und dem Baum nicht mehr viel zu sehen. Alles war in blauen Nebel gehüllt. Es knatterte auch, als die zweite Strophe zum Vortrag gelangte. Oder anders herum ausgedrückt: Ungeachtet des Gedröhns, wurde die zweite Strophe in Angriff genommen.
    Das war das Makabre an der Situation: die drei taten so, als würden sie gar nicht bemerken, was um sie herum vorging, und ich bin mir nicht sicher, ob sie nur so taten. Ihre Augen blickten in die Ferne, und sie machten einen entrückten Eindruck. Sie dachten auch nicht daran, nach der dritten Strophe aufzugeben, sondern waren offenbar wild entschlossen, unter Beweis zu stellen, daß das deutsche Liedgut sich in ihren Händen in bester Obhut befunden hat und auch in der Ferne keines der deutschen Weihnachtslieder in Vergessenheit geraten war. Und so folgte die Mitteilung: »Heute kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben.«
    Allmählich merkte auch mein Axel, daß er mit seinem Motorrad nicht recht am Platze war, und machte sich daran, es abzustellen. Leider kannte er sich noch nicht richtig damit aus oder er war zu aufgeregt, jedenfalls hatte er offenbar vergessen, wie man das macht und konnte dem Motor wohl ein gelegentliches Aufheulen entlocken, aber von Aufhören war keine Rede. Dabei hatte er den besten Willen, das merkte ich an seinem verzweifelten Gehabe. Er machte hilflose Handbewegungen und schüttelte den Kopf. Aber der Motor, der lief. Durch den blauen Nebel klang jetzt: »Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.«
    Ich hatte mich inzwischen mit der Situation abgefunden, und bemühte mich, wenn sie schon nicht zu ändern war, das Beste daraus zu machen. Barbara hatte mir eine Polaroidkamera geschenkt. Das war damals der letzte Schrei. Das sind die Photoapparate, die gleich das fertige Bild liefern. Ich dachte sofort, daß ihr gar nichts Besseres hätte einfallen können. Der Motorradfahrer unter dem Weihnachtsbaum und im Hintergrund das Gesangsterzett, das mußte der Nachwelt erhalten bleiben.
    Leider war ich aber auch nicht damit vertraut, wie man mit einem solchen Apparat umgeht. Zum Lesen der Gebrauchsanweisung brauchte ich meine Brille, aber wo war die? Die begonnene Suche gab ich schnell wieder auf, denn ich merkte, daß ich viel zu nervös dazu war. »Heute Kinder wird‘s was geben.« Außerdem war gar keine Zeit zum Lesen, man konnte ja nicht wissen, wie lange die Situation anhielte. Also los, Photo machen! Zu meinem Bedauern ging es mir mit dem Apparat so ähnlich wie meinem Sohn mit dem Rad. Ich wußte nicht genau, wo man drückt und wo man das Bild herauszieht. Damals mußte man das noch tun, aber wenn ich zog, kam gleich der ganze Film hinterher. Also schnell eine neue Kassette, nur jetzt nicht die Nerven verlieren. Kassette rein, abdrücken, Bild herausziehen, wieder kam der ganze Rest mit. ›Irgend etwas mache ich falsch. Wieviel Kassetten haben wir noch?‹
    Jetzt wurde ich unruhig. Barbara meinte hinterher, ich wäre kurz vor dem Überschnappen gewesen. »Es ist ein Ros entsprungen.« Inzwischen wurde die Sache bedenklich, denn die Luft aus dem Auspuff wehte gefährlich gegen die Lichter, die sich anschickten, den Baum in Flammen aufgehen zu lassen. Der Hinweis der drei, daß »am Weihnachtsbaum die Lichter brennen« wäre eigentlich überflüssig gewesen. Schließlich gelang es dem Jungen doch, durch eine zufällige Bewegung den Motor abzustellen.
    Er war erschöpft, ich war erschöpft, keine Aufnahme war zustande gekommen, dafür war ich bedeckt mit Filmmaterial. Barbara, die immer zwischen den drei Schauplätzen hin- und hergerannt war, befand sich am Ende ihrer Kräfte und ich am Anfang eines

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