Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
hysterischen Anfalls. Schließlich beruhigten wir uns und saßen, nach Luft schnappend da, ich auf einem Stuhl, Axel auf seinem Motorrad, Barbara auf dem Fußboden, und dieses lebende Bild wurde unterlegt durch einen zarten Chorgesang: »Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!«
Die drei befanden sich nicht im vierten Stock einer bescheidenen Zweizimmerwohnung in Schwabing, sie befanden sich in Bethlehem.
FRITZ VON HERZMANOVSKY-ORLANDO: Onkel Tonis verpatzter Heiliger Abend
FRITZ VON HERZMANOVSKY-ORLANDO
Onkel Tonis verpatzter Heiliger Abend
Zu München lebte der Hofrat P., in weiten Kreisen bekannt und beliebt als »Onkel Toni«, einer der merkwürdigsten Käuze, die mir je begegnet sind. Er verfügte über einzigartiges Wissen auf allen Gebieten des Antiquitätenwesens, besonders auf den abwegigen, war selbst ein bedeutender Sammler und wurde gerne von ähnlich verschrobenen Repräsentanten der Gelehrtenwelt aufgesucht, wenn sie auf verzwickte Fragen Antwort haben wollten – etwa ob es im Rokoko schon Flugschriften über Wanzenvertilgung gegeben habe, ob die ersten Meister der Klistierspritzenerzeugung in Nürnberg oder Augsburg gesessen hätten, und dergleichen noch mehr. Auch stießen ihm immer wieder die seltsamsten und peinlichsten Dinge zu. So wurde er einmal von einem entlassenen Hausmeister auf dem Denunziationsweg des Lustmordes an einer uralten Bettlerin beschuldigt, weil er angeblich auf deren Umhängetuch gespitzt hätte, das er der hl. Thekla zuschrieb. Ein andresmal geriet er in den gleichfalls unberechtigten Verdacht des mehrfachen Kindesmordes, was mit seinem Versuch zusammenhing, mehrere Spiritusbehälter mit barocken Embryos, die er auf dem Salzburger Fetzenmarkt erstanden hatte, bei Nacht über die Grenze zu schmuggeln.
Von einem nicht ganz so schwerwiegenden, aber noch immer recht unangenehmen Erlebnis soll im folgenden die Rede sein.
Ich war nach längerer Pause wieder einmal nach München gekommen, und natürlich galt einer meiner ersten Besuche dem verehrten Onkel Toni. Als seine alte Haushälterin, die Frau Mizzi, mir öffnete, schlug sie in der üblichen Wiedersehensfreude zuerst die Hände überm Kopf zusammen und stieß mehrere »Jessas!« hervor, dann aber senkte sie plötzlich ihre Stimme:
»Sagen S‘ um alles in der Welt nit, daß derselbige schlecht ausschaut! Lassen S‘ Ihna fei nix anmirken, gell? Dös waren heuer Weihnachten, sag i Ihna! Weihnachten waren Ihna dös …«
Was es denn gegeben habe, fragte ich, noch rückwirkend aufs äußerste besorgt.
»Eing‘spirrt ham s‘ denselbigen! Am Heiligen Abend! Im Kotter hat derselbige geschmachtet. I derf gar nit dran denken …« Und die beleibte Weibsperson – eine emeritierte Pfarrersköchin – erstickte in Rotz und Tränen.
»Eingesperrt? Ja warum denn?«
»Wögen an öfföntlichen Örgernüß«, röhrte die Frau Mizzi auf und befliß sich dabei jener überreichlichen Verwendung von Umlauten, zu der biedere Menschen immer dann ihre Zuflucht nehmen, wenn sie – sei‘s auch nur mittelbar – in amtliche Zusammenhänge geraten. »Wögen Errögung der Süttlichkeit! O mei, o mei …«
Damit geleitete sie mich ins Wohnzimmer, wo Onkel Toni den berüchtigten Fez des seligen Nietzsche (eine seiner kostbarsten Erwerbungen) auf dem Haupt, gerade mit einem beinernen Ohrlöffelchen in einer Tintenflasche herumrührte und als Begrüßung zunächst nur ein stummes, gramgetränktes Nicken für mich erübrigte.
»A rechter Dreck«, brummte er dabei. »Wie alles heutzutage. Alles. Auch wann‘s du‘s erst vorgestern um zwoa bluatige Zehnerin kauft hast. Jo, jo, so ist‘s.« Dann wandte er sich endlich an mich. »Daß d‘ aa wieder amal kemma bist. Daß d‘ dich überhaupt noch schierst um an armen alten Onkel Toni. Weil er gar so im Dröckh sitzt …«
Meiner Beteuerung, daß ich erst gestern angekommen sei, begegnete er mit einem traurigen Blick voll Zweifel.
»So, so. Und vor vierzehn Täg bist g‘sehn wor‘n, wie‘s d‘ mit einer stadtbekannten Schönheit, einer stadtbekannten, im Oanspänner die Ludwigstraßen auf und ab g‘fahren bist. Oane vom Ballett is‘s g‘wesen. Vom Ballett. – Mir wär‘s z‘ mager«, setzte er mit unvermittelter Schärfe hinzu und mümmelte wegwerfend.
Vergebens suchte ich ihm die Falschmeldung auszureden.
»Jo, jo«, beharrte er. »Weil i a armer alter Mann bin, den ‚s Schicksal wieder amal schön z‘sammprackt hat. Jawohl, z‘sammprackt. Dessentwegen
Weitere Kostenlose Bücher