Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Aquarellzeichnung eines Tieres, das die Gestalt und Größe eines Otters hatte– auch die Schwimmhäute–, aber einen Schnabel wie eine Ente.
» Das ist ein Schnabeltier. Im Darling River habe ich sie mit eigenen Augen gesehen«, sagte Ian nach einem kurzen Blick. » Sie können unangenehm beißen, wenn man ihnen zu nahe kommt.«
» Natürlich, das müssen wir unbedingt mitnehmen.« Dorothea sah zu Heather. » Und du? Hast du ein Buch gefunden, das du ausleihen möchtest?« Heather nickte und hob stumm ein dünnes Traktat mit dem Schattenriss eines Pferds in die Höhe. » Grundlagen der Pferdezucht mit einem Überblick über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Rassen«, las Dorothea und schmunzelte. » Das ist ziemlich speziell. Aber wenn du meinst…« Ihre Stieftochter hatte in letzter Zeit überraschend schnelle Fortschritte im Lesen gemacht. Ob sie jedoch dieser Art fachlicher Lektüre bereits gewachsen war, bezweifelte Dorothea. Nun, es war wohl besser, Heather würde das selbst herausfinden. Sie zahlte den bescheidenen Obolus, wartete geduldig, bis die Dame Titel und Datum fein säuberlich auf der Leihkarte eingetragen hatte, und folgte dann Ian und den Mädchen auf die Straße hinaus.
15
Bei Lacy’s herrschte gerade Hochbetrieb. Erstaunlich, wie viele sich diesen Luxus gönnten, dachte Dorothea und bestaunte das reich bestückte Kuchenbüfett. Sie hatte eben zum ersten Mal ihren Fuß in das vornehme Etablissement gesetzt, denn das Café hatte erst eröffnet, als sie schon auf Eden-House lebte. Die hohen Räume in dem zweistöckigen Steinhaus in bester Lage waren nach der neuesten Mode eingerichtet. Vermutete sie, denn diese Art von Dekoration hatte sie noch nie gesehen. Ein Künstler hatte sämtliche Wände mit Motiven aus dem englischen Landleben bemalt, und zwar so geschickt, dass man meinte, die pittoreske Szenerie durch ein geöffnetes Fenster oder eine offen stehende Tür zu betrachten. Die echten Fenstertüren waren von hauchzarten Tüllgardinen verdeckt, die zwar das Tageslicht hereinließen, Insekten aber wirkungsvoll aussperrten. Geflochtene Korbmöbel, blau-weiß gemustertes Steingutgeschirr und der mit gebrannten Ziegeln gepflasterte Boden schafften eine gemütliche, ländlich anmutende Atmosphäre.
Eine als Milchmädchen verkleidete Bedienung empfing sie mit einem tiefen Knicks an der Tür und führte sie quer durch das Lokal in den hinteren Raum, wo gerade noch ein Tisch frei war. Ian bestellte Tee für die Erwachsenen und Schokolade für die Kinder, und während das Gewünschte geholt wurde, gingen sie alle zur Kuchentheke. Nicht nur Lischen konnte sich lange nicht entscheiden. Die Auswahl war einfach zu überwältigend: Schokoladenkuchen, diverse Obstkuchen, Cremetörtchen, Biskuitrouladen, Savarins, Eclairs… Es war nicht einfach, da eine Wahl zu treffen. Dorothea schwankte gerade zwischen einem Stück Aprikosenkuchen und einem Nugatbaiser, als eine bekannte Stimme dicht hinter ihr ertönte.
» Mrs. Masters? Ehemals Miss Schumann?«
Dorothea drehte sich zu einer zierlichen Frauengestalt um.
Mary Kilner lächelte erfreut und streckte ihr die Hand entgegen. » Das ist aber eine nette Überraschung, Sie hier zu treffen! Ist Robert auch in der Stadt?«
Ihr Blick streifte kaum merklich Ian, der gerade in eine lebhafte Diskussion mit Heather und Lischen über die Vorzüge der diversen Köstlichkeiten verwickelt war.
» Nein, Robert konnte sich leider nicht freimachen«, erwiderte Dorothea höflich. » Darf ich Sie mit Mr. Ian Rathbone bekannt machen? Er ist ein alter Freund von Robert. Wir haben ihn gerade in der Leihbücherei getroffen.«
» Guten Tag, Mr. Rathbone. Ich freue mich sehr, einen Freund von Robert kennenzulernen«, begrüßte Miss Kilner ihn herzlich. » Wollen Sie nicht heute Abend an seiner Stelle zu unserer Sitzung der Literarischen Gesellschaft kommen? Sie natürlich auch, Mrs. Masters. Mein lieber Matthew will von seiner letzten Reise die Küste herunter bis Cap Jervis berichten. Er hat dort einige höchst interessante Eingeborenenkultplätze entdeckt, die zu einer Art Mythos gehören.« Sie zog die Stirn kraus in dem Bemühen, sich zu erinnern. » Wie hieß er nur?– Ach ja, der Tjilbruke-Gesang. Es geht da um Mord und Totschlag und einen alten Mann, der sich in einen Ibis verwandelt. Oder so ähnlich.«
» Das klingt wirklich höchst interessant. Ich fürchte nur, ich bin heute Abend verhindert«, sagte Ian mit einem Bedauern, dem auch für einen unbedarften
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