Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Traumgeschichte der südlichen Kaurna, eine vielschichtige Geschichte von Schöpfung, Gesetz und menschlichen Beziehungen. Es ist die Geschichte von Tjilbruke.«
Moorhouse räusperte sich, trank einen Schluck und begann, den eindringlichen Singsang der Eingeborenen treffsicher kopierend: » In der Traumzeit, vor vielen, vielen Sommern, lebte Tjilbruke, ein Meister im Feuermachen und ein großer Jäger. Eines Tages erlegte sein Lieblingsneffe Kulultuwi, der Sohn seiner Schwester, einen Kari, einen männlichen Emu. Das war ein schweres Vergehen, denn Tjilbruke war der Einzige, dem die Jagd auf Karis erlaubt war. Aber da er Kulultuwi über alles liebte, verzieh er ihm. Kulultuwi hatte zwei Brüder, Jurawi und Tetjawi, die ihn hassten, weil er von seinem Onkel ihnen immer vorgezogen wurde. Sie dachten, sie könnten sich bei ihm beliebt machen, wenn sie Kulultuwi für sein Verbrechen bestraften. Also töteten sie ihn.
Tjilbruke als Bewahrer der Gesetze der Ahnen musste nun darüber richten, ob er zu Recht getötet worden war. Immerhin hatte er ein Tabu gebrochen, und das wurde nach den Sitten der Ahnen mit dem Tode bestraft.
Tjilbruke entschied jedoch, dass Kulultuwi ermordet worden wäre. Er selbst tötete seine beiden Neffen mit dem Speer und verbrannte sie. Ihren Staub verstreute er in alle Winde. Das geschah bei dem Ort Warriparinga, südlich von Adelaide.
Dann nahm er den noch nicht fertig im Rauch getrockneten Körper seines geliebten Neffen Kulultuwi auf die Arme und trug ihn zuerst zu der Quelle Tulukudank, bei Kingston Park an der Küste, wo er die Trocknung vollendete. Sobald der Körper Kulultuwis leicht wie eine Feder war, trug er ihn bis zu der Höhle Patparno, wo er ihn endgültig bestatten wollte. Auf seiner Reise die Küste hinunter rastete er, von Trauer übermannt, an verschiedenen Plätzen. Und wo immer er rastete, entsprang, gespeist von seinen Tränen, eine Süßwasserquelle.
Zu Tode betrübt durch die Ereignisse wollte Tjilbruke nicht länger als Mensch leben. Sein Geist wurde ein Vogel, ein Ibis, und sein Körper verwandelte sich in eine Steinsäule.«
Moorhouse hob eine Hand und zeigte den Zuhörern einen braunroten Brocken: » Dies ist ein Stück Ocker aus Karkungga, einem der Orte, an denen Tjilbruke gerastet haben soll. Ein ganz besonders kostbarer Ocker, weil er die Kraft von Tjilbruke überträgt. Er wird nur zu ganz besonderen Ritualen benutzt. Leider habe ich nicht in Erfahrung bringen können, welche das sind. Da wurde der Häuptling auf einmal sehr wortkarg und verstand kein Englisch mehr.«
Begleitet von leisem Gemurmel wanderte der Gesteinsbrocken von Hand zu Hand.
» Er wird schon einen Grund gehabt haben, wieso er es nicht verraten wollte«, bemerkte ein Mann hinter Dorothea spöttisch. » Wahrscheinlich einen, der zivilisierte Menschen abstoßen würde.«
Als der Brocken endlich in Dorotheas Hand lag, musste sie sofort an die Felsmalereien am Kultplatz denken: Die Gedärme der Tiere waren in haargenau dem gleichen Farbton ausgeführt worden. Und auch der Körper des Skelettmanns. Die hellen Striche, welche die Knochen darstellen sollten, hatten sich deutlich davon abgehoben. Stand er für Blut? Für Leben?
Gerne hätte sie den Protector nach seiner Meinung gefragt, aber er war so umlagert, dass sie darauf verzichtete, sich zu ihm durchzudrängen. Also schloss sie sich einem Ehepaar an, das in die gleiche Richtung wie sie nach Hause ging. Der Mond schien so hell, dass man keine Laterne brauchte. Die Tavernen, an denen sie vorbeikamen, waren noch gut frequentiert. Aus dem Inneren drangen lautes Gelächter und hier und da ein Schwall Tabakrauch und Bierdunst zu ihnen nach draußen. Die meisten Fenster der Wohnhäuser waren bereits dunkel. Kerzen waren teuer, da ging man lieber zu Bett, sobald es dämmerte. An der letzten Kreuzung verabschiedete Dorothea sich von den beiden. Die Straße war menschenleer, es war unnötig, dass das freundliche Paar sie auch noch bis zum Gartentor begleitete. Dort tastete sie in ihrem Beutel nach dem Schlüssel für die Pforte, als sie sich plötzlich von starken Armen umfangen und an eine Männerbrust gedrückt fühlte. August hatte ihr noch in Dresden eine sehr wirkungsvolle Methode gezeigt, wie sie unerwünschte Aufmerksamkeiten zurückweisen könnte. Die kam ihr jetzt glücklicherweise in den Sinn: Anstatt um Hilfe zu rufen oder erschreckt gegen den Griff anzukämpfen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schlug ihre Stirn kräftig gegen
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